Joseph Anton
andere erträglich. Ich habe eine Jahresbilanz gezogen. In der Minusspalte ist zu verzeichnen, dass ich ›spätes ‹ Asthma bekommen habe, ein kleines Dankeschön des Universums dafür, dass ich mit dem Rauchen aufgehört habe. Wenigstens kann ich jetzt nie mehr damit anfangen. Rauch einzuatmen ist ganz unmöglich. Für gewöhnlich ist ›spätes ‹ Asthma ziemlich harmlos, aber auch unheilbar. Incurabubble, um es mit meinem alten Werbespruch zu sagen. Wie sagtest Du immer so schön: »Was man nicht heilen kann, muss man ertragen.« Unter ›Plus ‹ sei genannt: Der neue Anführer der Labour-Partei, Tony Blair, hat in einem Interview mit Julian Barnes ein paar nette Dinge gesagt. »Ich unterstütze ihn absolut hundertprozentig … Mit so einer Sache ist überhaupt nicht zu spaßen.« Absolut hundertprozentig ist gut, was, Amma? Hoffen wir mal, dass der Prozentsatz nicht wieder sinkt, wenn er PM geworden ist. Europäische Muslime scheinen die Nase von der Fatwa ebenso voll zu haben wie ich. Holländische und französische Muslime haben sich dagegen ausgesprochen. Die französischen sind sogar für Meinungs- und Gewissensfreiheit! Aber in Großbritannien haben wir natürlich noch Sacranie und Siddiqui und all die anderen Bradford-Clowns, und deshalb gibt’s viel zu lachen. Und in Kuwait will ein Imam die ›gotteslästerliche ‹ Barbiepuppe verbieten. Hättest Du je gedacht, dass die arme Barbie und ich uns desselben Vergehens schuldig machen würden? Eine ägyptische Zeitschrift hat Auszüge aus Die satanischen Verse zusammen mit anderen verbotenen Texten von Nagib Machfus gedruckt und gefordert, religiösen Wortführern solle das Recht aberkannt werden, zu bestimmen, was in Ägypten gelesen werden darf und was nicht. Übrigens hat sich der ägyptische Großmufti gegen die Fatwa ausgesprochen. Und in seiner Antrittsrede beim Treffen der Organisation der Islamischen Konferenz in Casablanca hat König Hassan von Marokko gesagt, niemand habe das Recht, Menschen zu Ungläubigen zu erklären oder Fatwas oder Dschihads gegen sie auszurufen. Das klingt gut. The fundamental things apply as time goes by. Lass es Dir gutgehen. Komm mich bald besuchen. Ich liebe Dich.
Oh, P. S.: Diese Taslima scheint Gabi G. in Schweden eine Menge Ärger zu machen, macht ihm Vorwürfe (wofür?) und behauptet, sie kann nichts Gutes über ihn sagen. Ich fürchte, die ist ein ziemlich harter Brocken, in ganz Europa hat sie ihre Fürsprecher verprellt. Der arme Gabi hat so viel getan, um sie außer Gefahr zu bringen. Keine gute Tat bleibt ungestraft.
Frohes neues Jahr!
Ich bin wohlauf und guter Dinge.
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Er hatte seinen Roman fertig. Sieben Jahre waren vergangen, seit sich Salyadin Chamcha von dem Fenster mit Blick über das Arabische Meer abgewandt hatte; fünf Jahre, seit Harun Khalifas Mutter Soraya wieder zu singen begonnen hatte. Das Ende dieser Geschichten war ihm während des Schreibens gekommen, doch der Schluss von Des Mauren letzter Seufzer war ihm fast von Anfang an klar gewesen. Moor Zogoibys eigenes Friedhofsrequiem: Es war hilfreich gewesen, die letzten Töne des Liedes zu kennen, zu wissen, auf welches Ziel sämtliche Pfeile des Buches – der erzählerische, der thematische, der komische, der symbolische – zusteuerten. Außerhalb der Buchseiten war die Frage nach einem befriedigenden Ende kaum zu beantworten. Das menschliche Leben war selten harmonisch, nur sporadisch sinnvoll, seine Unzulänglichkeiten nur die zwingende Folge des Sieges vom Inhalt über die Form, von was und wann über wie und warum. Doch im Laufe der Zeit war die Entschlossenheit in ihm gereift, seine Geschichte auf ein Ende hinauslaufen zu lassen, das niemand für möglich hielt und bei dem er und seine Familie jenseits des Diskurses über Risiko und Sicherheit einer gefahrlosen Zukunft entgegengingen, in der das Wort ›Risiko‹ wieder für kreatives Wagnis stand und ›Sicherheit‹ das Gefühl beschrieb, in Liebe geborgen zu sein.
Jener wie Mandarin klingender Literaturauffassung nach, für die sämtliche Gegenwartsliteratur nur ein postkolonialer, postmoderner, postsäkularer, postintellektueller, postliterarischer Nachklapp war, war er immer ›post-irgendwas‹ gewesen. Jetzt würde er dieser ver staubten Poststelle seine eigene Kategorie hinzufügen, post-Fatwa, und damit nicht nur po-co und po-mo, sondern auch po- fa sein. Seit er Mitternachtskinder geschrieben hatte, um seine indische Identität zurückzugewinnen, hatte er es auf
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