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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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einer Zwickmühle zu stecken. Wenn er versuchte, den Kopf aus seinem Loch zu strecken und sich sichtbarer zu machen, glaubte die Presse, er sei nicht mehr in Gefahr, und reagierte dementsprechend, was zuweilen (wie im Fall der Guardian- Karikatur) dazu führte, dass die Polizei meinte, ihr Malachite-Klient sei erhöhter Gefahr ausgesetzt, und ihn wieder in sein Loch zurückdrängte. Doch wenigstens diesmal verlor Rab Connolly nicht die Nerven. »Ich werde mich Ihnen nicht in den Weg stellen«, sagte er.
    Aus heiterem Himmel bekam er eine Nachricht von Marianne, die Gillon ihm weiterfaxte. »Ohne es zu wollen, habe ich dich heute Abend bei Face to Face gesehen und bin froh darüber. Du warst genau so, wie ich dich einst kannte – liebenswert und aufrecht und ehrlich hast du über die Liebe geredet. Bitte, lass uns begraben, was wir getan haben.« Auf mit Briefkopf versehenem Papier und ohne Unterschrift. Er schrieb zurück, sehr gern würde er das Kriegsbeil begraben, wenn sie ihm nur die Fotos wiedergebe. Es kam keine Antwort.
    Weil man mit vier Polizisten unter einem Dach zu leben gezwungen war, kam es zu Hause zu zahlreichen winzigen Spannungen. Als zwei Teenager glotzend vorm Haus standen, zog die Polizei sofort den Schluss, Zafar müsse seinen Schulkameraden etwas erzählt haben. (Das hatte er nicht, und die Teenager gingen nicht auf die Highgate School.) Das Haus wurde mit immer mehr elektronischen Sicherheitsvorkehrungen versehen, die sich untereinander nicht grün waren. War der Alarm eingeschaltet, funktionierten die Polizeifunkgeräte nicht mehr, und wurden die Funkgeräte benutzt, setzten die Alarmsysteme aus. Ein perimetrische ›Außenrand‹-Alarmanlage wurde entlang der Gartengrenzen installiert, die bei jedem vorbeihuschenden Eichhörchen und jedem fallenden Blatt losjaulte. »Manchmal ist es hier wie bei den Keystone Cops«, sagte er zu Elizabeth, die sich ein mühsames Lächeln abrang; die ersehnte Schwangerschaft hatte sich noch immer nicht eingestellt. Die Spannung im Schlafzimmer stieg, und das machte es nicht besser.
    Als er und Elizabeth nach der London Review of Books -Party mit Hitch, Carol, Martin und Isabel zu Abend aßen, war Martin in besonders emphatischer Stimmung. »Dostojewski ist beschissen.« – »Beckett ist total beschissen.« Nach zu viel Wein und Whiskey lieferte er sich mit seinem Freund einen erbitterten Streit. Als sie laut wurden und Isabel sich einzuschalten versuchte, drehte er sich zu ihr um und sagte, »Ach, leck mich, Isabel.« Er hatte das nicht gewollt, der Alkohol hatte es rausgelassen. Sofort war Martin wieder nüchtern. »So redest du nicht mit meiner Freundin. Entschuldige dich.« – »Ich kenne sie doppelt so lange wie du, sie ist kein bisschen beleidigt«, sagte er. »Bist du beleidigt, Isabel?« – »Natürlich nicht«, entgegnete sie, doch Martin blieb stur: »Entschuldige dich.«
    »Und wenn nicht? Was passiert dann, Martin? Gehen wir dann vor die Tür, oder was? Na schön, ich entschuldige mich. Isabel, entschuldige bitte. Und jetzt musst du etwas für mich tun, Martin.« – »Und was?« – »Ich will, dass du nie mehr auch nur ein einziges Wort mit mir redest.«
    Am nächsten Tag fühlte er sich schrecklich, und es ging ihm erst besser, als er mit Martin gesprochen hatte, um den Streit beizulegen und mit ihm übereinzustimmen, dass so etwas nun einmal passiere und der Zuneigung, die sie füreinander empfanden, nichts anhaben könne. Er erzählte Martin, in ihm habe sich ein riesiger ungeschriener Schrei aufgestaut, von dem letzte Nacht am falschen Ort und zur falschen Zeit ein winziger Bruchteil nach außen gedrungen sei.
    *
    Im November fuhr er zur Versammlung des Schriftstellerparlaments nach Straßburg. Zu seinem Schutz hatten die Männer von der RAID das gesamte oberste Stockwerk des Hotel Regent Contades in Beschlag genommen. Sie waren nervös, denn gerade lief das Gerichtsverfahren gegen Shapur Bakhtiars Mörder, und das Thema der Konferenz war die angespannte Situation in Algerien unter den islamistischen Gruppierungen FIS und GIA . Dass er in der Stadt war, setzte dem Ganzen noch eins drauf.
    Er traf Jacques Derrida, der ihn an Peter Sellers in The Magic Christian erinnerte, das Haar ständig von einer unsichtbaren Windmaschine zerzaust. Schon bald wurde klar, dass er und Derrida in nichts übereinstimmten. In der Algerien-Sitzung äußerte er seine Meinung, dass sich der Islam, der real existierende Islam, nicht von den in seinem Namen

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