Joseph Anton
Mittelsmann für die Gesellschaft wie für das menschliche Herz zu sein. Ein anderes Stück war die Musik, die unterschwellig seinen neuen Roman durchzog: ›Sympathy for the Devil‹ von den Rolling Stones.
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Bruce Chatwin war sterbenskrank, und er besuchte ihn, sooft es ging. Die Krankheit griff auch auf seinen Verstand über. Er hatte sich stets geweigert, die Kürzel Aids oder HIV auszusprechen, meinte in seinem Wahn jetzt aber, ein Heilmittel gefunden zu haben. Er sagte, er rufe seine reichen Freunde an, etwa den ›Aga Khan‹, um Geld für weitere Forschung aufzutreiben, und er wollte, dass auch seine literarischen Freunde einen Beitrag leisteten. Die ›Experten‹ im Radcliffe Hospital in Oxford seien ›begeistert‹, und er sei fest davon überzeugt, ›an etwas dran‹ zu sein. Bruce hielt sich zudem selbst für ungeheuer reich. Seine Bücher hätten sich ›in irrsinnig großer Stückzahl‹ verkauft. Eines Tages rief er an, um zu sagen, er habe sich ein Ölgemälde von Chagall geleistet. Es blieb nicht die einzige extravagante Anschaffung. Seine Frau Elizabeth musste diese Erwerbungen heimlich wieder zurückbringen und erklären, dass Bruce nicht mehr er selbst sei. Schließlich sah sich sein Vater gezwungen, vor Gericht die Aufsicht über die Finanzen seines Sohnes zu beantragen, was zu traurigen Spannungen innerhalb der Familie führte. Bruce kam zeitgleich ebenfalls mit einem neuen Buch heraus, mit Utz , seinem letzten Roman. Eines Tages rief er an und sagte: »Wenn wir es beide auf die Shortlist für den Booker schaffen, kündigen wir an, dass wir beabsichtigen, uns den Preis zu teilen. Falls ich gewinne, teile ich ihn mit dir, und du solltest dasselbe sagen.« Bis dahin hatte Bruce für den Booker-Preis nur Verachtung übriggehabt.
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The New York Times bat ihn, Liebe Mili zu besprechen, ein Grimm’ sches Märchen, illustriert von Maurice Sendak; und obwohl er sich Mühe gab, seiner Bewunderung für einen Großteil von Sendaks Werk Ausdruck zu geben, musste er in diesem Artikel festhalten, dass ihm Sendaks Illustrationen zu wiederholen schienen, was der große Illus trator andernorts bereits besser gemacht hatte. In mehreren Inter views sagte Sendak später, es sei für ihn die schmerzlichste Besprechung gewesen, die er je gelesen habe, und er ›hasse‹ ihren Verfasser. (Er schrieb zwei weitere Buchbesprechungen für den britischen Observer , in denen er die zu besprechenden Werke weniger gut als frühere Arbeiten der Autoren fand, und die Verfasser von Das Russland-Haus und Hokus Pokus oder Wohin so eilig ?, John le Carré und Kurt Vonnegut, beide bis dahin gute Bekannte, erklärten sich daraufhin gleichfalls zu seinen Feinden. So lief das mit Buchbesprechungen. Mochte man ein Buch, fand der Autor, das Lob stünde ihm ohnehin zu, und mochte man es nicht, machte man sich einen Feind. Er beschloss, mit diesem Blödsinn aufzuhören.)
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An dem Tag, an dem er die gebundene Fahne von Die satanischen Verse erhielt, besuchte ihn Madhu Jain in seinem Haus in der St. Peter’s Street, eine Journalistin von India Today , mit der er sich befreundet glaubte. Als sie den dicken, dunkelblauen Einband mit dem Titel in großen roten Buchstaben sah, wurde sie ganz aufgeregt und bat, ein Exemplar mitnehmen zu dürfen, damit sie es im Urlaub lesen könne, den sie zurzeit mit ihrem Mann in England verbringe. Und kaum hatte sie das Buch gelesen, verlangte sie ein Interview und bat, dass er India Today gestatte, einen Auszug aus dem Roman zu veröffentlichen. Erneut willigte er ein. Noch Jahre später hielt er diese Veröffentlichung für das Streichholz, mit dem der Brand entfacht wurde. Jedenfalls strich die Zeitung heraus, was man später für die ›kontroversen‹ Aspekte des Buches halten sollte, und publizierte den Artikel unter dem Titel ›Ein eindeutiger Angriff auf den religiösen Fundamentalismus‹, eine erste von zahllosen ungenauen Beschreibungen des Romans; ein zweiter Titel schrieb ihm ein Zitat zu: ›Mein Thema ist der Fanatismus‹, mit dem sein Werk noch weiter verzerrt wurde. Der letzte Satz – » Die satanischen Verse wird gewiss eine Protestlawine auslösen …« – glich einer offenen Einladung, mit ebendiesen Protesten zu beginnen. Der Artikel wurde auch von dem indischen Parlamentsabgeordneten und islamischen Konservativen Syed Shahabuddin gelesen, der daraufhin einen ›offenen Brief‹ unter dem Titel verfasste: ›Das haben Sie in satanischer Absicht geschrieben, Mr Rushdie.‹ Es
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