Joseph Anton
von Die satanischen Verse einen kurzen Moment lang ein rein literarisches Ereignis, über das in der Sprache der Bücher geredet wurde. War es gut? War es, wie Victoria Glendinning in der Londoner Times meinte, »besser als Mitternachtskinder , da gebändigter, wenn auch nur in jenem Sinne, in dem man auch die Niagarafälle gebändigt nennen könnte«? Oder war es, wie Angela Carter in The Guardian schrieb, »ein Epos, in das Löcher gehämmert wurden, um Visionen einzulassen … ein figurenreicher, redseliger, manchmal umwerfend komischer, außergewöhnlich zeitgenössischer Roman«? Oder war es, wie Claire Tomalin in The Independent schrieb, »ein Rad, das sich nicht drehte«? Gar ein Roman, der »auf schmelzenden Flügeln«, so Hermione Lees noch schroffere Ansicht im Observer, »in die Tiefen der Unlesbarkeit stürzte«? Wie viele Mitglieder hatte der apokryphe ›Seite-15-Klub‹, Leser also, die nicht über besagte Seite hinausgekommen waren?
Schon bald sollte die Sprache der Literatur in der Kakophonie anderer Redeweisen untergehen, in politischen, religiösen, soziologi schen, postkolonialen Diskursen, und die Frage nach der Qualität, nach ernsthafter künstlerischer Absicht wurde nahezu frivol. Das von ihm geschriebene Buch über Migration und Transformation verschwand und wurde durch eines ersetzt, das kaum existierte, jenes, in dem Rushdie den Propheten und dessen Gefährten ›Pöbel und Gesindel ‹ nennt (tat er nicht, doch legte er seinen Figuren, die den Anhängern seines fiktiven Propheten das Leben schwermachten, ausfallende Worte in den Mund); Rushdie nennt die Frauen des Propheten Huren (tat er nicht, doch nahmen die Huren in einem Bordell im fiktiven Jahilia die Namen der Frauen des Propheten an, um ihre Freier zu erregen, während über die Frauen des Propheten selbst unmissverständlich gesagt wird, dass sie keusch im Harem leben); Rushdie benutzt das Wort ›Scheiße‹ zu oft (na ja, okay, er hatte es ziemlich oft benutzt). Gegen diesen imaginären Roman sollte sich die Wut des Islam richten; danach wollten bloß noch wenige Menschen über das wahre Buch reden, und wenn, dann meist nur, um Hermione Lees negativer Ansicht zuzustimmen.
Wenn Freunde fragten, wie sie ihm helfen konnten, bat er oft: »Verteidigt den Text!« Die Angriffe waren sehr spezifisch, die Verteidigung aber blieb oft allgemein und verließ sich allein auf den mächtigen Grundsatz der freien Meinungsäußerung. Er hoffte auf eine detailliertere Verteidigung, fand oftmals, dass er sie brauchte, eine Verteidigung, wie sie auch für andere attackierte Bücher geleistet worden war, für Lady Chatterley, Ulysses, Lolita , schließlich war dies kein brutaler Angriff auf den Roman im Allgemeinen oder die Meinungsfreiheit per se, sondern auf eine bestimmte Ansammlung von Worten (Literatur bestand, woran ihn die Italiener im Queluz-Palast erinnert hatten, aus Sätzen), ein Angriff auf die Intentionen, die Integrität und Fähigkeiten eines Autors, der ebendiese Worte aneinandergereiht hatte. Er hat es fürs Geld getan. Er hat es getan, um berühmt zu werden. Die Juden haben ihn dazu angestiftet. Kein Mensch hätte dieses unlesbare Buch gekauft, hätte er nicht den Islam verteufelt . Auf diesem Niveau wurde gekämpft, weshalb dem Buch viele Jahre lang die normale Existenz eines Romans verwehrt blieb. Es wurde etwas Kleineres, Hässlicheres: eine Beleidigung. Diese Metamorphose eines Romans über engelhafte und satanische Metamorphosen in eine Teufelsversion seiner selbst hatte surreal komische Züge, und er hätte durchaus ein paar düstere Witze darüber auf Lager gehabt. (Schon bald würde es Witze über ihn selbst geben. Schon gehört, wie Rushdies neuer Roman heißt? ›Buddha, du dickes, fettes Arschloch.‹ ) Doch hätte es sich für ihn in dieser neuen Welt nicht geziemt, Witze zu reißen, eine komische Bemerkung wäre ein Missklang gewesen, Unbeschwertheit völlig unangemessen. Während sein Buch zu bloßer Beleidigung verkam, wurde er zum Beleidiger, und dies nicht nur in den Augen der Muslime, sondern auch für die allgemeine Öffentlichkeit. Nach der ›Rushdie-Affäre‹ veranstaltete Umfragen belegten, dass eine große Mehrheit der britischen Bevölkerung fand, er solle sich für seinen ›beleidigenden‹ Roman entschuldigen. Dieser Kampf würde nicht leicht zu gewinnen sein.
Doch während jener wenigen Wochen im Herbst des Jahres 1988 war das Buch ›nur ein Roman‹ und er noch er selbst. Viking UK veranstaltete
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