Joseph Anton
eine Buchpräsentation der Herbstveröffentlichungen, und dabei lernte er Robertson Davies und Elmore Leonard kennen. Er verzog sich mit diesen großen alten Männern in eine Ecke, und Elmore Leonard erzählte von seiner Verzweiflung nach dem Tod seiner Frau und wie er sich gefragt hatte, ob er je wieder eine Lebensgefährtin finden würde, als er aus dem Fenster seines Hauses in Bloomfield Township unweit von Detroit schaute und dort eine Frau stehen sah. Sie hieß Christine, war seine Gärtnerin und kam regelmäßig nach Bloomfield, um sich um seinen Garten zu kümmern. Innerhalb eines Jahres waren sie verheiratet. »Ich wusste nicht, wo ich eine Frau finden sollte«, sagte er, »und dann sah ich sie direkt vor meinem Fenster, wie sie meine Pflanzen goss.«
In England fanden die üblichen Leseveranstaltungen und Signierstunden statt. Er flog nach Toronto, um auf dem internationalen Autorenfestival Harbourfront zu sprechen. Die satanischen Verse schafften es mit Romanen von Peter Carey, Bruce Chatwin, Marina Warner, David Lodge und Penelope Fitzgerald auf die Shortlist für den Booker-Preis. (Er vermied es, Bruce anzurufen, um nicht noch einmal mit ihm darüber zu reden, dass er sich den Preis teilen wollte.) Die einzige Wolke am Horizont war Syed Shahabuddin, der indische Parlamentsabgeordnete, der verlangte, man solle in Indien etwas gegen dieses ›blasphemische‹ Buch unternehmen, das er, wie er gestand, nicht gelesen hatte, brauche er doch nicht »durch einen dreckigen Abwassergraben zu laufen, um zu wissen, was Dreck ist«, ein durchaus vernünftiger Standpunkt, zumindest wenn es um Abwassergräben ging. Für eine Weile war es noch möglich, diese Wolke zu ignorieren und sich über die Veröffentlichung zu freuen (auch wenn, um bei der Wahrheit zu bleiben, etwas in ihm nach der Veröffentlichung eines Buches stets wollte, dass er sich hinter irgendwelchen Möbeln versteckte). Und dann, am Donnerstag, den 6. Oktober 1988, schob sich die Wolke vor die Sonne. Seinem Freund Salman Haidar, dem Stellvertretenden Hochkommissar Indiens in London, dessen Familie seit Generationen mit seiner Familie eng befreundet war, fiel die keineswegs dankbare Aufgabe zu, ihn anzurufen und ihm offiziell im Namen seiner Regierung mitzuteilen, dass sein Buch Die satanischen Verse in Indien verboten worden war.
Trotz Indiens vielbeschworener Weltlichkeit hat die indische Regierung seit Mitte der siebziger Jahre – also seit den Tagen von Indira und Sanjay Gandhi – schon oft dem Druck religiöser Interessengruppen nachgegeben, vor allem jener, die behaupteten, eine Menge Wählerstimmen hinter sich zu haben. 1988 standen im November Wahlen an, und Rajiv Gandhis schwächelnde Regierung kapitulierte feige vor den Dro hungen zweier oppositioneller Muslim-Abgeordneter, die gar nicht in der Lage waren, muslimische Stimmen für die Kongresspartei ›einzufahren‹. Das Buch wurde weder von einer ordnungsgemäß ermächtigten Behörde geprüft, noch gab es etwas, das auch nur entfernt einem richterlichen Prozess glich. Das Verbot wurde, so unwahrscheinlich dies auch klingen mag, vom Finanzministerium unter Berufung auf Sektion 11 der Zollvereinbarungen ausgesprochen, denen zufolge die Einfuhr des Buches nun verboten war. Eigenartigerweise behauptete das Finanzministerium, das Verbot wolle keinesfalls »die literarischen und künstlerischen Verdienste seines Buches schmälern«. Na, besten Dank auch , dachte er.
So seltsam – naiv, unerfahren, gar einfältig – es auch sein mochte, er hatte nicht damit gerechnet. In Indien sollten Angriffe auf die künstlerische Freiheit in den folgenden Jahren noch deutlich zunehmen; es traf selbst die bekanntesten Künstler, so den Maler Maqbool Fida Husain, den Romancier Rohinton Mistry, die Filmemacherin Deepa Mehta; sie und viele mehr wurden ins Visier genommen. 1988 aber war es noch möglich, Indien für ein Land zu halten, in dem die Freiheit der Kunst respektiert und verteidigt wurde. Er jedenfalls hatte daran geglaubt. Zu Buchverboten kam es jenseits der Grenze, in Pakis tan, nur allzu oft. Das aber war nicht die indische Art. Jawaharlal Nehru schrieb 1929: »Das Recht, bestimmen zu wollen, was gelesen werden darf und was nicht, ist eine gefährliche Macht in den Händen einer Regierung … Und in Indien wird diese Macht gern missbraucht.« Der junge Nehru schrieb damals gegen die Zensur der britischen Lehnsherren an. Ein trauriger Gedanke, dass diese Worte nun, fast sechzig Jahre später, als
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