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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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hatte begonnen. Man kann ein Buch nicht heftiger angreifen, als wenn man den Autor dämonisiert und ihn in ein Geschöpf mit niederen Motiven und bösen Absichten verwandelt. ›Satan Rushdy‹, den wütende Demonstranten später durch die Straßen der Welt trugen, eine am Galgen baumelnde Puppe mit heraushängender Zunge und grob geschneidertem Smoking, wurde, wie der echte Rushdie, in Indien geboren. Und folgendermaßen lautete die erste Behauptung dieser Attacke: Dass ein jeder, der ein Buch mit dem Wort ›satanisch‹ im Titel schreibt, selbst satanisch ist. Wie so viele falsche Behauptungen, die zu Beginn des Zeitalters der Information (oder Desinformation) ins Kraut schossen, wurden sie allein durch Wiederholung wahr. Erzähle einmal eine Lüge über einen Menschen, und viele werden dir nicht glauben. Erzähle die Lüge eine Million Mal, und man wird dem Menschen selbst nicht mehr glauben.
    Mit der Zeit kam die Vergebung. Als er den Bericht viele Jahre später, in ruhigeren Zeiten, noch einmal las, konnte er sich eingestehen, dass der Artikel fairer und ausgewogener war, als Titel und letzter Satz vermuten ließen. Wer sich beleidigt fühlen wollte, hätte sich sowieso beleidigt gefühlt. Und wer sich entflammen lassen wollte, hätte den nötigen Funken auf jeden Fall gefunden. Die schädlichste Wirkung des Zeitungsbeitrags war vermutlich, dass er das Publikationsverbot brach, da der Beitrag neun Tage vor Erscheinen des Buches veröffentlicht wurde, zu einer Zeit also, als noch kein einziges Ex emplar in Indien angekommen war. Dies erlaubte Herrn Shahabuddin und seinem Verbündeten Khurshid Alam Khan, einem weiteren Parlamentsmitglied der Opposition, die Zügel schießen zu lassen. Sie konnten über das Buch behaupten, was ihnen beliebte, da niemand es lesen und ihnen widersprechen konnte. Khushwant Singh, ein Journalist, der ein Vorabexemplar gelesen hatte, forderte in The Illustrated Weekly of India , man möge das Buch verbannen, um Ärger zu vermeiden. Er wurde somit zum ersten Mitglied jener kleinen Gruppe von Auto ren dieser Welt, die sich der Zensurlobby anschlossen. Khushwant Singh behauptete außerdem, Viking habe um seinen Rat gebeten und er habe Autor und Verleger vor den Folgen einer Publikation gewarnt. Dem Autor ist eine solche Warnung nicht bekannt. Sollte sie je gegeben worden sein, ist sie nie angekommen.
    Leider beschränkte sich der Angriff gegen seinen Charakter nicht auf muslimische Kritiker. In Großbritanniens neu gegründeter Zeitung The Independent zitierte der Autor Mark Lawson anonym einen von Rushdies Studienkollegen aus Cambridge, der ihn ›aufgeblasen‹ nannte, jemand, der ›als Gymnasialschüler durch Bildung von sich selbst entfremdet‹ worden sei. Nun wurden von dem Namenlosen also auch noch die elenden Jahre in Rugby gegen ihn ins Feld geführt. Ein anderer ›guter Freund‹, ebenfalls anonym, ›verstand‹, warum er oft für ›mürrisch und arrogant‹ gehalten wurde. Es kam noch schlimmer: Er war ›schizophren‹ und ›völlig durchgeknallt‹, er korrigierte Leute, wenn sie seinen Namen falsch aussprachen! Und – schlimmer ging’s wirklich nicht – er war einmal in ein Taxi gestiegen, das Mr Lawson sich bestellt hatte, so dass der Journalist ohne Fahrgelegenheit festsaß. Das war billiges, kleingeistiges Zeug, von dem sich in anderen Zeitungen noch jede Menge mehr fand. »Gute Freunde bekennen oft, dass er nicht besonders liebenswürdig ist«, schrieb Bryan Appleyard in The Sunday Times . »Rushdie ist ein unglaublicher Egomane.« (Was für ›gute Freunde‹ redeten denn so über einen Freund? Wohl nur jene anonymen Freunde, die irgendwelche Journalisten zutage förderten.) Im ›normalen Leben‹ hätte all dies zwar wehgetan, doch wäre es nicht besonders wichtig gewesen. Im großen Konflikt, der auf die Behauptung folgte, dass er kein besonders netter Mensch sei, erwies es sich allerdings als extrem schädlich.
    *
    Lord Byron verabscheute das Werk von Robert Southey, einem vielgerühmten Poeten des achtzehnten Jahrhunderts, und fiel mit Gift und Galle über ihn her. Southey erwiderte, Byron gehöre einer ›satanischen Schule‹ der Literatur an, und seine Gedichte seien nichts als ›satanische Verse‹.
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    Die britische Ausgabe von Die satanischen Verse erschien am Montag, dem 26. September 1988, und rückblickend empfand er tiefe Melancholie, sooft er an jene Zeit dachte, in der aller Ärger noch weit fort zu sein schien. Im Herbst war die Publikation

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