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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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gewonnen hatte. Sein ›bloß vordergründig als Literatur getarntes Werk‹ konnte offenbar überzeugen.
    Der erste Hassbrief erreichte ihn in seinem Haus in London. Der Evening Standard berichtete über eine weltweite islamische Drohung, ›Penguin zu vernichten‹. Der bekannte Anwalt David Napley forderte, dass man ihn nach dem Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung verurteile. Unterdessen sah er sich mit Clarissa und Zafar am Guy-Fawkes-Tag das Feuerwerk in Highbury Fields an. Marianne wurde einundvierzig; mittags ging er zur Whitbread-Zeremonie, um seinen Preis entgegenzunehmen. Nachmittags machte sie ihm Vorwürfe. Er stelle sie in den Schatten, sagte sie, und das gefalle ihr gar nicht. An jenem Abend sahen sie sich, immer noch leicht verärgert, im National Theatre Harold Pinters Stück Berg-Sprache an. Hinterher fühlte er sich wie die Leute im Stück, denn auch ihm war es verboten, die eigene Sprache zu gebrauchen. Seine Sprache war unangemessen, wenn nicht kriminell. Er sollte vor Gericht gezerrt, aus der Gesellschaft gejagt, gar getötet werden. Wegen seiner Sprache war all das legitim. Es war die Sprache der Literatur; sie war das Verbrechen.
    Seit dem Tod seines Vaters war ein Jahr vergangen, und er war froh, dass Anis nicht mehr miterleben musste, was seinem Sohn widerfuhr. Er rief seine Mutter an. Negin unterstützte ihn nach Kräften, diese grässlichen Menschen , verteidigte seltsamerweise aber auch ihren Gott. »Wirf Allah nicht vor, was diese Leute sagen.« Er stritt sich mit ihr. Was für eine Art Gott wurde durch die Taten seiner Anhänger entschuldigt? Verharmlose man Gott nicht, wenn man behaupte, er sei machtlos gegenüber seinen Gläubigen? Sie ließ sich nicht beirren. »Es ist nicht Allahs Schuld.« Sie sagte, sie wolle für ihn beten. Er war schockiert. Das war nicht die Familie, die er kannte. Sein Vater war gerade ein Jahr tot, und plötzlich fing seine Mutter an zu beten? »Bete nicht für mich«, sagte er. »Kapierst du nicht? Das ist nicht unsere Liga.« Sie lachte, wollte ihn aufmuntern, verstand aber nicht, was er ihr zu sagen versuchte.
    Für das südafrikanische Problem wurde eine Art Lösung gefunden. Er willigte ein, über eine Londoner Telefonleitung auf der Weekly Mail -Konferenz zu sprechen. Seine Stimme gelangte nach Südafrika, seine Ideen wurden in einem für ihn unsichtbaren Saal in Johannesburg gehört, er aber blieb zu Hause. Damit war er nicht zufrieden, aber es war besser als nichts.
    *
    Der Großscheich von al-Azhar, Gad el-Haq Ali Gad el-Haq: Der Name klang für ihn unfassbar alt, so alt wie ein Name aus Tausendundeine Nacht , ein Name, der in die Welt fliegender Teppiche und wundersamer Lampen gehörte, dieser Großscheich jedenfalls, eine der hohen Eminenzen der islamischen Theologie und kompromissloser Konservativer der Kairoer Universität, äußerte sich am 22. November 1988 über das ›blasphemische‹ Buch. Er prangerte die Art und Weise an, in der ›Lügen und Fantasiegebilde‹ als Tatsachen dargestellt wurden, und forderte britische Muslime auf, gerichtlich gegen den Autor vorzugehen. Er wollte Taten sehen seitens der sechsundvierzig Mitgliedsstaaten umfassenden Organisation für Islamische Zusammenarbeit. Die satanischen Verse war nicht das einzige Buch, über das er sich aufregte. Er bekräftigte auch seine Vorbehalte gegen den Roman Die Kinder unseres Viertels des ägyptischen Schriftstellers und Nobelpreisträgers Nagib Machfus, dem ebenfalls Blasphemie vorgeworfen wurde, da seine in der Gegenwart spielende Erzählung eine Allegorie auf das Leben der Propheten von Abraham bis Mohammed sei. »Ein Roman kann nicht in Umlauf gebracht werden, nur weil sein Autor den Literaturnobelpreis gewonnen hat«, verkündete er. »Dieser Preis rechtfertigt keineswegs die Verbreitung fehlgeleiteter Ideen.«
    Gad el-Haq Ali Gad el-Haq war nicht der einzige ägyptische Scheich, der sich von diesen Büchern und ihren Autoren beleidigt fühlte. Der sogenannte blinde Scheich Omar Abdel-Rahman, der später für seine Beteiligung am ersten Anschlag auf das World Trade Center in New York ins Gefängnis kam, erklärte, wäre Machfus für Die Kinder unseres Viertels angemessen bestraft worden, hätte Rushdie es gar nicht erst gewagt, Die satanischen Verse zu schreiben. Einer seiner Anhänger, der diese Erklärung für eine Fatwa hielt, stach Nagib Machfus 1994 in den Hals. Der alte Mann überlebte zum Glück. Nach Khomeinis Fatwa sprach sich Machfus erst für

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