Joseph Anton
persönlicher wie politischer Hinsicht gefährlich wäre. Ein Streit innerhalb der Anti-Apartheid-Koalition hätte zudem katastrophale Folgen und könnte nur den Interessen der weißen Obergewalt dienen. Er sollte es daher vermeiden, Katalysator für solch eine Auseinandersetzung zu werden und lieber daheim bleiben.
Am nächsten Morgen rief er Nadine Gordimer an, die als Schirm herrin des Kongresses Südafrikanischer Schriftsteller ( COSAW ) zu den Sponsoren seiner Einladung zählte. Diese kleine, unbeugsame Frau war eine langjährige Freundin und gehörte zu jenen Menschen, die er am meisten respektierte und bewunderte. Sie war zutiefst erschüttert und regte sich schrecklich auf. Südafrikanische Muslime, gewohnt, ihre Opposition gegen die Zwänge der Apartheid lautstark zum Ausdruck zu bringen, drohten mit einem heiligen Krieg gegen den blasphemischen Autor und sein Buch. Sie würden ihn töten, auf seinen Veranstaltungen Bomben zünden und alle angreifen, die ihn eingeladen hatten. Die Polizei war unfähig oder unwillig, die Sicherheit der Bedrohten zu garantieren. Für den COSAW zeichnete sich die Gefahr einer Spaltung ab, da die muslimischen Mitglieder damit drohten, massenhaft aus dem Kongress auszutreten; der Verlust an finanzieller Unterstützung, den solch ein Bruch nach sich zöge, wäre für die Organisation eine Katastrophe. Die Mitarbeiter der Weekly Mail waren überwiegend Juden, weshalb sich in die muslimischen Hasstiraden auch zahlreiche unangenehm antisemitische Töne mischten. Nadine Gordimer hatte versucht, sich mit den muslimischen Wortführern zu treffen, um das Problem zu lösen, und eine Reihe hochangesehener Persönlichkeiten der Anti-Apartheid-Bewegung flehten die muslimischen Extremisten an, von ihrem Vorhaben Abstand zu nehmen, doch dazu waren sie nicht bereit. Professor Fatima Meer, eine bekannte muslimische Intellektuelle, hatte behauptet: »Letztlich greift Rushdie die Dritte Welt an.« Trotz seines lebenslangen Engagements gegen den Kolonialismus verwandelte man ihn nun also in einen Unterdrücker, dem »eine bösartige Attacke auf die eigene ethnische Vergangenheit« vorgeworfen wurde. Bemerkenswert war, dass der ANC angesichts dieser Krise kein Wort sagte; trotzdem erhoben sich viele Stimmen gegen den muslimischen Angriff, darunter auch jene von J. M. Coetzee, Athol Fugard und André Brink. Das Drohgeschrei der Islamisten aber wurde von Tag zu Tag lauter. Gordimer war sichtlich erschüttert und als Freundin sehr um ihn besorgt. »Ich kann dich nicht einer solchen Gefahr aussetzen«, sagte sie.
In jener Woche verbot auch die südafrikanische Regierung Die satanischen Verse . Der Erlass schmähte den Roman als ein ›bloß vordergründig als Literatur getarntes Werk‹, kritisierte dessen ›unanständige Sprache‹ und behauptete, es sei ›nicht nur für Muslime, sondern für jeden Leser, dem an Anstand und Kultur gelegen sei‹, eine ›widerliche Lektüre‹. Interessant war, dass sich dieselbe Wortwahl in einem Brief der ›Brüder des Islam‹ fand – offenbar lohnte es nicht, die ›Schwestern des Islam‹ anzusprechen –, der nur wenige Tage zuvor, nämlich am 28. Oktober, vom britischen Aktionskomitee für islamische Angelegenheiten herausgegeben worden war. In diesem Dokument gab es ebenfalls die Formulierung ›bloß vordergründig als Literatur getarntes Werk‹ sowie viele Vorwürfe hinsichtlich Beleidigung, Obszönität etc. Die weißen Rassisten Südafrikas folgten zweifelsfrei dem Diktat von Mughram al-Ghamdi, dessen Unterschrift der Brief des Aktionskomitees trug.
Nach vielen Telefongesprächen mit Nadine und mit Anton Harber, dem Mitherausgeber der Weekly Mail , wurde ihm gesagt, der COSAW empfehle der Zeitung angesichts der politischen Radikalisierung, die Einladung an ihn zurückzuziehen. Rushdie tat es leid, dass dies einen öffentlichen Streit zwischen den beiden größten Schriftstellern Südafrikas auslösen sollte. J. M. Coetzee war dagegen, die Einladung zurückzunehmen, und sagte, ob Rushdie kommen wolle oder nicht, sei allein seine Entscheidung. Nadine Gordimer erklärte dagegen mit tiefstem Bedauern, dass die Sicherheit Vorrang habe. Sie hatten beide recht, nur wollte er nicht, dass sie sich seinetwegen stritten. Er fand sich mit der Entscheidung ab, dass die Einladung zurückgezogen wurde. Am selben Tag rief ihn Tony Lacey an, Verlagsdirektor bei Viking, um ihm im Vertrauen zu sagen, dass Die satanischen Verse den Whitbread-Preis als bester Roman
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