Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
aus uns, die buchstäblich mit ihren Gliedern nicht wissen, wohin, während ein Warten auf lange Sicht uns in Ruhe läßt und uns nicht nur erlaubt, sondern uns zwingt, auch noch an anderes zu denken und anderes zu tun, denn wir müssen leben. So stellt der wunderliche Satz sich her, daß der Mensch, gleichviel mit welchem Grade von Sehnlichkeit er warte, es nicht desto schwerer, sondern desto leichter tut, je ferner in der Zeit das Erwartete gelegen ist.
Die Wahrheit dieser tröstlichen Erwägungen – eine Wahrheit, die darauf hinausläuft, daß Natur und Seele sich stets zu helfen wissen – erwies und bewährte sich in Jaakobs Fall nun sogar besonders deutlich. Er diente dem Laban vornehmlich als Schafhirt, und ein Hirt, das weiß man ja, hat viel leere Zeit; stundenweise wenigstens, ja halbe Tage lang ist sein Teil eine mußevolle Beschaulichkeit, und falls er auf etwas wartet, so ist sein Warten nicht in viel tätiges Leben eingehüllt. Hier aber zeigte sich die Milde eines Wartens auf lange Sicht; denn es war keineswegs so, daß Jaakob nicht gewußt hätte, ob er sitzen, stehen oder liegen sollte, und auf der Steppe herumgelaufen wäre, den Kopf zwischen den Händen. Sondern sehr ruhig war ihm zumute, wenn auch zugleich etwas traurig, und das Warten bildete nicht die Oberstimme, sondern den Grundbaß seines Lebens. Natürlich dachte er auch an Rahel und an die mit ihr zu zeugenden Kinder, wenn er fern von ihr mit dem Hunde Marduka, den Ellbogen aufgestützt und die Wange in der Hand, oder die Hände im Nacken verschränkt und ein Bein über das aufgestellte andere geschlagen, im Schatten eines Felsens oder Gebüsches lag oder aufrecht in weiter Ebene an seinem Stabe lehnte und um sich die Schafe weiden ließ, – aber doch nicht nur an sie, sondern auch an Gott und an alle Geschichten, die nächsten und fernsten, an seine Flucht und Wanderschaft, an Eliphas und den stolzen Traum zu Beth-el, an das Volksfest von Esau’s Verfluchung, an Jizchak den Blinden, an Abram, den Turm, die Flut, Adapa oder Adama im Paradiesesgarten ... wobei ihm der Garten einfiel, zu dessen Anpflanzung er Laban, dem Teufel, segensreich verholfen hatte und dessen Erstehen für des Mannes Wirtschaft und Wohlstand einen so großen Fortschritt bedeutete.
Es ist nicht überflüssig zu wissen, daß Jaakob im ersten Kontraktjahr noch nicht, oder nur selten, die Schafe hütete, sondern dies meistens Abdcheba, dem Zwanzig-Schekel-Manne, oder auch den Töchtern Labans überließ und sich für sein Teil, nach des Oheims Wunsch und Befehl, an den Arbeiten beteiligte, die sich aus seinem Segensfunde ergaben: der Herstellung der Wasserleitung und des Teiches, zu der man sich einer natürlichen Bodensenkung bediente, die man mit dem Spaten ausglich, worauf man ihre Wände vermauerte und ihren Boden mit Steinkitt dichtete. Endlich war da der Garten – Laban legte allen Wert darauf, daß auch diese Neuanlage unmittelbar unter des Neffen gesegneten Händen bewerkstelligt werde, denn er war nun überzeugt von der Wirksamkeit des erlisteten Segens und freute sich der Klugheit, mit der er diese Wirksamkeit auf lange hinaus in den Dienst seiner wirtschaftlichen Interessen gestellt hatte. War es denn nicht klar und deutlich, daß Rebekka’s Sohn ein Glücksbringer war fast wider seinen Willen und durch seine bloße Gegenwart Zustände belebte, aufregte und in ungeahnten Fluß brachte, denen es scheinbar bestimmt gewesen war, nur immer so weiter zu stocken und sich zu schleppen? Was war das auf einmal für ein Werken und zukunftsreiches Treiben auf Labans Hof und Feld, was für ein Graben, Hämmern, Ackern und Pflanzen! Laban hatte Geld aufgenommen, um der Vergrößerung des Betriebes, den nötigen Einkäufen gewachsen zu sein: Ischullanu’s Söhne in Charran hatten ihm welches vorgestreckt, obgleich sie ihren Prozeß gegen ihn verloren hatten. Denn das waren kühle, sachlich denkende und persönlich ganz unempfindliche Leute, welchen die Niederlage in einem Rechtsstreit durchaus nicht als Grund galt, mit dem Manne, der gegen sie Recht behalten, nicht ein neues Geschäft abzuschließen, und zwar gerade auf Grund des wirtschaftlichen Machtmittels, mit dem er sie geschlagen und das ihn nun in ihren Augen zum guten Schuldner machte, so daß sie es unbedenklich beleihen mochten. So geht es zu im Wirtschaftsleben, und Laban wunderte sich nicht darüber. Er brauchte das Bankgeld allein schon zur Bezahlung und Beköstigung von drei neuen Hofleuten, jener
Weitere Kostenlose Bücher