Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Hochachtung war fast grenzenlos; sie wurde durch Rahels Verschlossenheit nur wenig eingeschränkt. Man mußte den Mann walten lassen, und ein Glück nur, daß er an Aufbruch und Abwanderung kaum noch zu denken schien.
In Wirklichkeit entfremdete Jaakobs Seele sich niemals dem Gedanken der Heimkehr und der Auferstehung aus dieser Grube und Unterwelt von Labansreich; nach zwölf Jahren hatte sie das so wenig getan wie nach zwanzig und fünfundzwanzig. Aber er nahm sich Zeit, in dem organischen Bewußtsein, Zeit zu haben (denn er sollte hundertundsechs Jahre alt werden), und hatte sich entwöhnt, den Reisegedanken an den Zeitpunkt des mutmaßlichen Absterbens von Esau’s Wut zu binden. Auch hatte sich eine gewisse Verwurzelung seines Lebens in Naharina’s Boden notwendig vollzogen, denn vieles hatte er hier erlebt, und die Geschichten, die uns an einem Ort widerfahren, sind Wurzeln gleich, die wir in seinen Grund senken. Hauptsächlich aber urteilte Jaakob, er habe aus seinem Untergang in die Labanswelt noch nicht genug Nutzen gezogen, sei noch nicht schwer genug in ihr geworden. Die Unterwelt barg zweierlei: Kot und Gold. Den Kot hatte er kennengelernt: in Gestalt grausamer Wartezeit und des noch grausameren Betruges, mit dem Laban, der Teufel, in der Brautnacht ihm die Seele gespalten. Auch mit dem Reichtum hatte er angefangen, sich zu beladen, – aber nicht hinlänglich, nicht ausgiebig; was nur zu tragen war, galt es aufzupacken, und Laban, der Teufel, mußte noch Gold lassen, sie waren nicht quitt, er mußte gründlicher betrogen sein: nicht um der Rache Jaakobs willen, sondern schlechthin, weil es sich so gehörte, daß zuletzt der betrügerische Teufel spottgründlich betrogen war, – nur sah unser Jaakob das durchschlagende Mittel noch nicht, das Vorgeschriebene recht zu erfüllen.
Das hielt ihn hin, und seine Geschäfte beschäftigten ihn. Er war jetzt wieder viel draußen in Feld und Steppe, bei den Hirten und Herden, vertieft in Erzeugung und Handel auf Labans und seine Rechnung; und das mochte ein Grund sein unter anderen, weshalb eine Stockung eintrat im Strom des Kindersegens, obgleich des öfteren die Frauen mit ihren Knaben und auch die schon heranwachsenden Labanssöhne mit ihm bei den Pferchen waren und bei ihm wohnten in Zelten und Hütten. Es war so, daß Rahel, notdürftig zu dem Ihren gekommen, die Eifersucht auf Bilha, die Nothelferin, nicht mehr unterdrückte und keinen Umgang mehr duldete des Herrn und der Magd, wobei sie auch beide ihrem Verbote willig fand. Sie selbst blieb verschlossen ins fünfte, ins sechste Jahr, auf immer, wie es unseligerweise schien; und Lea’s Leib hielt Brache – gar sehr zu ihrem Verdruß, aber er ruhte einfach, ein Jahr und zwei Jahre, so daß sie zu Jaakob sprach:
»Ich weiß nicht, was das ist, und was mir für Schimpf geschieht, daß ich öde und nutzlos bin! Hättest du nur mich, so geschähe das nicht, und ich wäre nicht ungesegnet geblieben zwei Jahre lang. Aber da ist die Schwester, die unserem Herrn alles ist, und nimmt mir meinen Mann, so daß ich nur mit Mühe umhin kann, sie zu verwünschen, da ich sie doch liebe. Vielleicht verdirbt mir dieser Widerstreit das Geblüt, daß ich nicht Frucht trage, und dein Gott mag nicht mehr meiner gedenken. Was aber der Rahel recht war, das sei mir billig. Nimm Silpa, meine Magd, und wohne ihr bei, daß sie auf meinem Schoß gebäre und ich Söhne gewinne durch sie. Bin ich schon unwert vor dir, so will ich doch Kinder haben auf alle Weise, denn sie sind mir wie Balsam auf den Wunden, die mir deine Kälte schlägt.«
Jaakob widersprach kaum ihren Klagen. Seine Bekundung, auch sie sei ihm wert, trug offen das Gepräge mattester Höflichkeit. Man muß das tadeln. Konnte er sich denn nicht ein wenig überwinden zur Güte gegen die Frau, durch die er freilich schweren Seelenbetrug erlitten, und mußte er jedwedes warme Wort, das er ihr gäbe, sogleich für Raub an seinem teueren, gehätschelten Gefühl erachten? Der Tag sollte kommen, da er bitter zu büßen hatte für die Hoffart seines Herzens; der aber war fern, und vorher sollte sogar seinem Gefühl noch der Tag seines höchsten Triumphes dämmern ...
Den Vorschlag mit Silpa hatte Lea wahrscheinlich nur der Form wegen gemacht und um ihren eigentlichen Wunsch, Jaakob möchte sie öfter besuchen, darein zu kleiden. Aber der Gefühlvolle fühlte das nicht, er fühlte hoffärtig darüber hinweg und erklärte sich nur einfach bereit und einverstanden, durch
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