Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
zu den Zeiten von Potiphars Weib schon längst uralt war und nur demjenigen höchst neu erscheint, der, wie sie, gerade daran ist, es als erster und einziger überwältigt zu erfahren. Sie flüsterte: »O horch, Musik! ... An meinem Ohr weht wonnevoll ein Schauer hin von Klang.« Man kennt auch das. Es sind die Gehörstäuschungen empfindlicher Ekstase, die Verliebten wie Gottverzückten wohl hie und da zustoßen und kennzeichnend sind für die nahe Verwandtschaft und Unabgegrenztheit ihrer Zustände, bei denen hier Göttliches, dort aber viel Menschliches sich einmischt. – Man kennt auch, und es erübrigt sich völlig, ausführlich darüber zu sein, jene Fiebernächte der Liebe, die eine Folge von lauter kurzen Träumen sind, in welchen immer der andere da ist und sich kalt und verdachtvoll zeigt, sich verächtlich abwendet, – eine Kette unseliger und vernichtender, aber von der entschlummerten Seele unermüdlich wieder aufgenommener Begegnungen mit seinem Bilde, fortwährend unterbrochen von jähem und nach Luft ringendem Erwachen, Aufrichten, Lichtschlagen: »Ihr Götter, ihr Götter, wie ist es möglich! Wie ist so viel Qual möglich! ...« Flucht sie ihm aber, dem Urheber solcher Nächte? Keineswegs. Was sie ihm, wenn der Morgen sie von der Folter gebunden, erschöpft auf dem Rande ihres Bettes, zuflüstert von ihrem Orte zu seinem, das lautet:
»Ich danke dir, mein Heil! mein Glück! mein Stern!«
Der Menschenfreund schüttelt das Haupt ob solcher Rückäußerung auf entsetzliches Leiden; er findet sich beirrt und halb lächerlich gemacht durch sie in seinem Erbarmen. Wo aber die Urheberschaft einer Qual nicht als menschlich, sondern als göttlich verstanden wird, da ist diese Art der Rückäußerung möglich und natürlich. – Und warum wird sie so verstanden? – Weil sie eine Urheberschaft besonderer Art ist, die sich auf das Ich und das Du verteilt, zwar an dieses gebunden erscheint, aber zugleich ihren Ort in jenem hat: sie besteht in der Vereinigung und Verschränkung eines Außen und eines Innen, eines Bildes und einer Seele – in einer Vermählung also, aus der tatsächlich schon Götter hervorgegangen sind und deren Manifestationen nicht sinnloserweise als göttlich angesprochen werden. Ein Wesen, das wir für große Qualen, die es uns zufügt, segnen, muß wohl ein Gott sein und kein Mensch, denn sonst müßten wir ihm fluchen. Eine gewisse Schlüssigkeit ist dem nicht abzusprechen. Ein Wesen, von dem Glück und Elend unserer Tage in einem Umfange abhängig sind, wie es in der Liebe der Fall, rückt in die Ordnung der Götter, das ist klar; denn Abhängigkeit war immer und bleibt die Quelle des Gottgefühls. Hat aber je schon einer seinem Gotte geflucht? – Wohl möglich, daß er’s versuchte. Dann aber nahm der Fluch sich aus und lautete wörtlich wie oben.
Dies zur Verständigung des Menschenfreundes, wenn auch nicht zu seiner Befriedigung. Hatte übrigens nicht unsere Eni noch besondere Ursache, aus dem Geliebten einen Gott zu machen? – Allerdings hatte sie die: insofern nämlich in seiner Vergöttlichung die Erniedrigungsgefühle sich aufhoben, die sonst von ihrer Schwäche für den Fremdsklaven untrennbar gewesen wären und mit denen sie lange im Kampf gelegen. Ein niedergestiegener, ein Gott in Knechtsgestalt, nur kenntlich an seiner unverhehlbaren Schönheit und dem goldenen Erz seiner Schultern, – sie fand das vor von irgendwoher in ihrer Gedankenwelt, sie fand es glücklicherweise vor, denn es war die Erklärung und Rechtfertigung ihrer Ergriffenheit. Die Hoffnung aber auf Erfüllung des Heilstraumes, der ihr die Augen geöffnet und in welchem ihr jener das Blut gestillt hatte, – diese Hoffnung zog ihre Nahrung aus einem ferneren Bilde und weiterer Kunde, die sie ebenfalls, wer weiß woher, in sich vorfand: dem Bild und der Kunde von der Beschattung Sterblicher durch den Gott. Es mag wohl sein, daß in der Exzentrizität dieser Vorstellung und in dem Zurückgreifen auf sie etwas von der Angst sich verbarg, die des Gatten Eröffnungen über Josephs Geweihtheit und Aufgespartheit, den Schmuck seines Hauptes ihr eingeflößt hatten.
Das zweite Jahr
Als nun das zweite Jahr gekommen war, lockerte sich etwas in der Seele Mut-em-enets und gab nach, so daß sie anfing, dem Joseph ihre Liebe zu erkennen zu geben. Sie konnte nicht länger anders; sie liebte ihn gar zu sehr. Gleichzeitig begann sie auch, infolge derselben Lockerung, einzelne Personen ihrer Umgebung in ihre
Weitere Kostenlose Bücher