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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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tröstlich, vertraut zu werden mit der Herkunft und Geschichte einer Erscheinung, die zu unserer Seele spricht.«
    Man darf sich über das Bedrückende solcher Rede nicht wundern. Verliebtheit ist eine Krankheit, wenn auch nur eine solche von der Art der Schwangerschaft und der Geburtswehen, also eine sozusagen gesunde Krankheit, dabei aber, wie jene, keineswegs ohne Gefahr. Der Sinn der Frau war benommen, und obgleich sie sich als gebildete Ägypterin klar, ja literarisch und in ihrer Art vernünftig ausdrückte, so war doch ihr Unterscheidungsvermögen für das Erträgliche und Unerträgliche stark herabgesetzt und umnebelt. Was erschwerend oder eigentlich entschuldigend hinzukam, war ihre Unumschränktheit als Herrin, welche durchaus gewohnt war, zu sagen, was sie wollte, in der Sicherheit, was zu äußern sie Lust habe, könne von Natur niemals gegen Adel und guten Geschmack verstoßen, – worauf in gesunden Tagen wohl auch wirklich Verlaß gewesen war. Nun aber versäumte sie es, ihren Zustand, der ihr ganz neu war, in Rechnung zu stellen, und unterwarf auch ihn ihrer gewohnten Unumschränktheit im Reden, wobei nur Mißliches herauskommen konnte. Auch ist kein Zweifel, daß Joseph es als mißlich, ja als verletzend empfand, nicht nur der Blöße wegen, die sie sich damit gab, sondern für sich selbst empfand er’s als Kränkung. Dabei war noch das wenigste, daß er seinen erzieherischen Heilsplan, versinnbildlicht in den Rechnungsrollen, die er unterm Arme trug, mehr und mehr scheitern sah. Das eigentlich Verstimmende für ihn war eben die stolze Unumschränktheit, mit der sie die Redefreiheit der Herrin auch auf die neuen Verhältnisse anwandte und ihm verfängliche Artigkeiten über seine Augen sagte, wie der Liebhaber sie seinem Fräulein sagt. Man muß bedenken, daß in der weiblichen Abwandlung des Wortes »Herr« – daß also im Namen der »Herrin« das ursprünglich männliche Element immer gebietend erhalten bleibt. Eine Herrin, das ist, körperlich gesehen, ein Herr in Weibesgestalt, geistig gesehen aber ein Weib von herrenhaftem Gepräge, also daß eine gewisse Doppeltheit, in der sogar die Idee des Männlichen vorwiegt, dem Herrinnennamen niemals fehlen kann. Andererseits ist Schönheit eine leidend weibliche Eigenschaft, insofern sie Sehnsucht erregt und die männlichtätigen Motive der Bewunderung, des Begehrens und der Werbung in die Brust dessen verlegt, der sie schaut, so daß auch sie, auf umgekehrtem Wege, jene Doppelnatur, und zwar unter Vorherrschaft des Weiblichen, zu erzeugen vermag. Nun war Joseph gewiß auf dem Gebiet des Doppelten nicht schlecht zu Hause. Er trug es durchaus im Geiste, daß sich in der Person der Ischtar eine Jungfrau und ein Jüngling vereinigten und daß in dem, der den Schleier tauschte mit ihr, in Tammuz, dem Schäfer, dem Bruder, Sohne und Gatten, dieselbe Erscheinung sich wiederholte, so daß sie eigentlich zusammen vier ausmachten. Gingen aber diese Erinnerungen ins Ferne und Fremde, und waren sie nur noch ein Spiel, so lehrten die Tatsachen von Josephs eigenster Sphäre und Wirklichkeit ebendasselbe. Israel, des Vaters geistlicher Name in seinem erweiterten Verstande, war jungfräulich ebenfalls in doppeltem Sinn, verlobt dem Herrn, seinem Gott, als Braut und als Bräutigam, ein Mann und ein Weib. Und er selbst, der Einsame, Eifrige? War er nicht Vater und Mutter der Welt auf einmal, doppelgesichtig, ein Mann nach seinem dem Tageslicht zugekehrten Antlitz, ein Weib aber dem anderen nach, das ins Dunkel blickte? Ja, war nicht diese Zweiheit von Gottes Natur das Erstgegebene, durch das der geschlechtliche Doppelsinn des Verhältnisses Israels zu ihm und besonders noch das persönliche Josephs, das stark bräutlich, stark weiblich war, erst bestimmt wurde?
    Schon recht, schon wahr. Aber dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, daß sich in Josephs Selbstgefühl seit einigem gewisse Veränderungen vollzogen hatten, die es ihm unbehaglich machten, als Gegenstand der Bewunderung, des Begehrens und der Werbung einer Herrin herzuhalten, die ihm Komplimente machte wie der Mann einem Fräulein. Das paßte ihm nicht, und die natürliche Vermännlichung, die nicht nur das Ergebnis seiner fünfundzwanzig Jahre, sondern auch seiner amtlichen Stellung und des Erfolges war, mit dem er ein schönes Stück des ägyptischen Wirtschaftslebens seiner Übersicht und Kontrolle unterworfen hatte, erklärt sehr leicht, warum es ihm nicht mehr passen wollte. Aber zu leicht

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