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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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gewissermaßen den Übergang von Lea’s kurzer Unfruchtbarkeitsperiode zu neuer Ergiebigkeit ihres Leibes, welche mit Issakhars Austritt erst ernstlich wieder einsetzte. Jedes Schulkind weiß heute noch, daß Jaakob zwölf Söhne besaß, und hat ihre Namen am Schnürchen, während weite Kreise des Publikums von der Existenz der unglücklichen kleinen Dina kaum etwas ahnen und sich überrascht zeigen bei ihrer Erwähnung. Jaakob aber liebte sie so, wie er ein Kind der Unrechten nur zu lieben vermochte, versteckte sie vor Esau in einer Totenlade und trug, als die Zeit kam, schweres Herzeleid um sie.
    Beset
    Israel also, der Gesegnete des Herrn, mit Troß und Habe, mit seinen Herden, von denen allein die Schafe fünfeinhalbtausend Stück ausmachten, mit Weibern und Anwuchs, Sklavinnen, Knechten, Treibern, Hirten, Ziegen, Eseln, Last- und Reitkamelen, – Jaakob, der Vater, vom Jabbok kommend und von der Begegnung mit Esau, überschritt den Jardên und fand sich, froh, der unmäßigen Hitze des Flußtales, den Wildschweinen und Pardelkatzen seines Pappel- und Weidendickichts entronnen zu sein, in einem Lande von mäßiger Gebirgigkeit und fruchtbar blumigen, von Quellen durchrauschten Tälern, wo Gerste wild wuchs und in deren einem er denn auf die Stätte Schekem stieß, eine behäbige Siedlung, beschattet vom Felsen Garizim, jahrhundertealt, mit einer dicken, aus unverbundenen Steinblöcken errichteten Ringmauer, die eine Untere Stadt im Südosten und eine Obere im Nordwesten umschloß: die Obere genannt, weil sie auf einer fünf Doppelellen hohen künstlichen Aufschüttung lag, dann aber auch im übertragen-ehrfürchtigen Sinne so geheißen, weil sie fast ganz aus dem Palast des Stadtfürsten Hemor und aus dem rechteckigen Massiv des Baal-berit-Tempels bestand, – welche beiden überragenden Gebäude denn auch das erste waren, was den Jaakobsleuten bei ihrem Eintritt in das Tal und ihrer Annäherung an das östliche Stadttor in die Augen sprang. Schekem hatte rund fünfhundert Einwohner, nicht mitgerechnet einige zwanzig Mann ägyptischer Besatzung, deren Vorsteher, ein blutjunger, aus der Deltagegend gebürtiger Offizier, hier zu dem einzigen Zwecke eingesetzt war, um alljährlich unmittelbar von Hemor, dem Stadtfürsten, und mittelbar von den Großkaufleuten der Unteren Stadt einige Barren Goldes in Ringform einzutreiben, die ihren Weg hinab zur Amunsstadt nehmen mußten und deren Ausbleiben dem jungen Weser-ke-bastet (dies war der Name des Befehlshabers) große persönliche Unannehmlichkeiten eingetragen haben würde.
    Es läßt sich denken, mit wie zweifelhaften Gefühlen die Leute von Schekem, unterrichtet durch ihre Mauerwachen und durch von außen heimkehrende Bürger, von dem Heranschwanken des Wanderstammes Kenntnis nahmen. Man konnte nicht wissen, was diese Schweifenden im Schilde führten, Gutes oder Böses; und in letzterem Falle genügte einige kriegerisch-räuberische Erfahrung und Übung auf ihrer Seite, um die Lage Schekems trotz seiner klotzigen Mauer mißlich zu gestalten. Der Ortsgeist war wenig mannhaft, vielmehr händlerisch, bequem und friedlich, der Stadtfürst Hemor ein grämlicher Greis mit schmerzhaften Knoten an den Gelenken, sein Sohn, der junge Sichem, ein verhätscheltes Herrensöhnchen mit eigenem Harem, ein Teppichlieger und Süßigkeitenschlecker, eine elegante Drohne, – und desto freudiger wäre unter diesen Umständen das Vertrauen der Einwohner in die soldatische Tugend der Besatzungstruppe gewesen, wenn sich zu solchem Vertrauen auch nur die geringste Möglichkeit geboten hätte. Aber diese um eine Falkenstandarte mit Pfauenfedern gescharte Mannschaft, die sich selbst als die »Abteilung, glänzend wie die Sonnenscheibe«, bezeichnete, erweckte keinerlei Hoffnungen für den Ernstfall, angefangen bei ihrem Kommandanten, dem erwähnten Weser-ke-bastet, der vom Krieger so gut wie gar nichts an sich hatte. Sehr befreundet mit Sichem, dem Burgsöhnchen, war er der Mann zweier Liebhabereien, denen er bis zur Narrheit frönte: es waren die Katzen und die Blumen. Er stammte aus der unterägyptischen Stadt Per Bastet, deren Namen man sich hierzulande durch die Umformung Pi-Beset mundgerecht gemacht hatte, weshalb die Sichemiten ihn, den Vorsteher, denn auch einfach »Beset« nannten. Die Lokalgottheit seiner Stadt war die katzenköpfige Göttin Bastet, und seine Katzenfrömmigkeit war denn auch ohne Maß: auf Schritt und Tritt war er umgeben von diesen Tieren, nicht nur von lebendigen

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