Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
kannst und verzeihen? –
    »Die Worte meines Herrn«, sagte er laut, »sind entzückend, und jedes einzelne davon ist den geheimsten Wünschen seines Knechtes abgelauscht. Aber mein Herr sieht ja, daß ich halbwüchsige Kinder mit mir führe und kleine, wie diesen hier, fünfjährig, Jehosiph genannt und schwächlich bei Wege; ferner ein totes Kind, leider Gottes, im Kasten, mit dem über Stock und Stein zu eilen nicht fromm wäre, und dazu säugende Lämmer und Kälber. Das würde mir alles dahinsterben, wenn ich es übertriebe. Daher ziehe mein Herr nur voran, und ich will langsam hinten nachtreiben nach den Kräften des Viehs und der Kinder, bis daß auch ich nach Seïr komme ein wenig später, und wir inniglich leben mitsammen.«
    Das war eine Absage in geschmeidiger Form, und Esau, etwas glotzend, verstand sie auch gleich so ziemlich als solche. Er machte zwar noch einen Versuch, indem er dem Bruder vorschlug, ein paar Männer bei ihm zu lassen von den Seinen zu Geleit und Bedeckung. Aber Jaakob antwortete, das sei ganz unnötig, falls er nur Gnade finde vor seinem Herrn, – womit denn die Redensartlichkeit seiner Zusage am Tage war. So zuckte Esau die zottigen Schultern, wandte dem Feinen, Falschen den Rücken und zog hin mit Vieh und Troß in seine Berge. Jaakob aber zögerte erst eine Weile hinter ihm drein, schwenkte ab bei erster Gelegenheit und schlug sich beiseite.

DRITTES HAUPTSTÜCK
    DIE GESCHICHTE DINA'S
    Das Mägdlein
    Da er damals nach Sichem kam, ist hier der Ort, die Geschichten und schweren Wirren dieses Aufenthaltes darzulegen, nämlich so, wie sie sich in Wirklichkeit zutrugen, unter Richtigstellung also jener kleinen Verbesserungen der Wahrheit, die man später bei »Schönen Gesprächen«, wenn es hieß: »Weißt du davon? Ich weiß es genau«, daran vornehmen zu sollen meinte und mit denen sie dann in die Stammes- und Weltüberlieferung eingegangen sind. Wenn wir das schlimme und schließlich blutige Geschehen von damals entwickeln, das eingeschrieben war in Jaakobs müde und zügige Greisenmiene, nebst anderen Befahrnissen, mit denen es die Erinnerungswürdenlast seines Alters bildete, so ist es im Verfolg und Zusammenhang unserer Betrachtung seines Seelengepräges, und weil nichts besser als sein Verhalten dabei zu erläutern geeignet ist, warum Schimeon und Levi einander heimlich in die Seiten stießen, wenn der Vater von seinem Ehrennamen und Gottestitel Gebrauch machte.
    Die leidende Heldin der Abenteuer von Schekem war Dina, Jaakobs einziges Töchterchen, geboren von Lea, und zwar zu Beginn ihrer zweiten Fruchtbarkeitsperiode, – zu Beginn also und nicht am Ende, nicht nach Issakhar und Sebulun, wie, viel später, die schriftliche Nachricht es anordnete. Diese zeitliche Anordnung kann darum nicht zutreffen, weil, wenn sie zuträfe, Dina zur Zeit ihres Unglücks körperlich noch gar nicht reif für dieses, sondern ein Kind gewesen wäre. In Wirklichkeit war sie vier Jahre älter als Joseph, also bei der Ankunft der Jaakobsleute vor Sichem neun und zur Zeit der Katastrophe dreizehn: zwei wichtige Jahre älter, als die rechnerische Nachprüfung der überlieferten Chronologie ergeben würde, denn gerade in diesen beiden Jahren erblühte sie, wurde Weib und so anziehend, wie man es bei einem Leakinde nur irgend erwarten konnte, ja, vorübergehend anziehender, als man es bei diesem kräftigen, aber unschönen Schlage im ganzen hätte erwarten sollen. Sie war ein rechtes Kind der mesopotamischen Steppe, welcher ein früh ausbrechender und überschwenglich blütenreicher Frühling gegeben ist, dem kein lebendiger Sommer folgt; denn schon im Mai ist die ganze Zauberpracht von einer unbarmherzigen Sonne zu Kohle verbrannt. So Dina’s körperliche Anlage; und die Ereignisse taten das Ihre, sie vor der Zeit zu einem müden und abgeblühten Weiblein zu machen. Was aber ihren Platz in der Reihe von Jaakobs Nachkommenschaft betrifft, so will es wenig besagen, welchen die Schreiber ihr angewiesen haben. Es war Flüchtigkeit, Gleichgültigkeit, die ihnen den Griffel führte, wenn sie den Namen des Mädchens einfach an das Ende der Leakinderserie setzten, statt an seinen gehörigen Ort: um die Sohnesfolge nicht durch etwas so Unbeträchtliches, ja Störendes wie einen Mädchennamen zu unterbrechen. Wer nähme es genau mit einem Mädchen? Der Unterschied zwischen der Geburt eines solchen und eigentlicher Verschlossenheit war wenig erheblich, und Dina’s Erscheinen, richtig eingeordnet, bildete

Weitere Kostenlose Bücher