Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
auf einen geistlichen Adel pochte, der persönlich gar nicht der ihre war. Seit längerem unbehaust, unterwegs, in wanderndem Zustande, fühlten sie sich gegen die Bewohner des Fruchtlandes, in das sie einzogen, als Nomaden, den Seßhaften überlegen durch Freiheit und Kühnheit, und ihre Gedanken gingen auf Raub. Dan war der erste gewesen, der aus dem Mundwinkel den Vorschlag gemacht hatte, Schekem durch Handstreich einzunehmen und zu plündern. Ruben, ehrbar, aber plötzlichen Antrieben unterworfen seit jeher, war rasch bei der Sache; Schimeon und Levi, die größten Raufbolde, schrien und tanzten vor Vergnügen und Unternehmungslust; den Eifer der anderen erhöhte der Stolz, sich ins Einvernehmen gezogen zu sehen.
Unerhört war es nicht, was sie erwogen. Daß Städte des Landes von lüsternen Eindringlingen der Wüste, südlicher oder östlicher Herkunft, Chabiren oder Beduinen, überfallen und vorübergehend auch eingenommen wurden, war, wenn nicht an der Tagesordnung, so doch ein nicht selten wiederkehrendes Vorkommnis. Die Überlieferung aber, deren Quelle nicht bei den Städtern, sondern bei den Chabiren oder Ibrim im engeren Sinne des Wortes, den bene Israel liegt, verschweigt mit dem besten Gewissen von der Welt, überzeugt von der Erlaubtheit solcher epischer Reinigung der Wirklichkeit, die Tatsache, daß es von Anfang an in Jaakobs Lager auf eine kriegerische Regelung des Verhältnisses zu Schekem abgesehen war und nur der Widerstand des Stammeshauptes die Ausführung dieser Pläne um einige Jahre, das heißt bis zu dem traurigen Zwischenfall mit Dina, verzögerte.
Dieser Widerstand war allerdings majestätisch und unüberwindlich. Jaakob befand sich damals in besonders gehobener Stimmung, und zwar auf Grund seiner Bildung, der Bedeutsamkeit seiner Seele, vermöge seiner Neigung zu weitausgreifender Ideenverbindung. Sein Leben während der letzten fünfundzwanzig Jahre erschien seinem feierlichen Sinnen im Lichte kosmischer Entsprechung, als Gleichnis des Kreislaufs, als ein Auf und Ab von Himmelfahrt, Höllenfahrt und Wiedererstehen, als eine höchst glückliche Ausfüllung des wachstumsmythischen Schemas. Von Beerscheba war er einst nach Beth-el gelangt, der Stätte des großen Treppengesichtes, das war eine Himmelfahrt. Von dort in die Steppe der Unterwelt, wo er zweimal sieben Jahre hatte dienen, schwitzen und frieren müssen und danach sehr reich geworden war, nämlich durch die Übertölpelung eines zugleich listigen und dummen Teufels namens Laban, – er konnte gebildeterweise nicht umhin, in seinem mesopotamischen Schwiegervater einen Schwarzmonddämon und schlimmen Drachen zu sehen, der ihn betrogen und den dann er selber gründlich betrogen und bestohlen hatte, worauf er denn nun mit allem Gestohlenen und namentlich mit seiner befreiten Ischtar, der süßäugigen Rahel, das Herz voll großen und frommen Gelächters, die Riegel der Unterwelt gebrochen hatte, aus ihr emporgestiegen und nach Sichem gelangt war. Sichems Tal hätte nicht so blumig zu sein brauchen, wie es wirklich bei seiner Ankunft sich darstellte, um seiner Sinnigkeit als Frühlingspunkt und Kreislaufstation neuen Lebens zu erscheinen; abrahamitische Erinnerungen an diesen Platz taten das Ihre, sein Herz sehr weich und ehrerbietig gegen ihn zu stimmen. Ja, wenn seine Sprößlinge an Abrahams Kriegertum dachten, an seinen kühnen Handstreich gegen die Heere des Ostens und daran, wie er die Zähne der Sternanbeter stumpf gemacht, so dachte er, Jaakob, an Urvaters Freundschaft mit Melchisedek, dem Hohenpriester von Sichem, an den Segen, den er von ihm empfangen, die Sympathie und Anerkennung, die er seiner Gottheit gezollt; – und so war die Aufnahme, die seine großen Jungen bei ihm fanden, als sie auf behutsame und fast poetische Art ihr grobes Vorhaben durchblicken ließen, die allerschlechteste.
»Weichet hinaus von mir«, rief er, »und das auf der Stelle! Söhne Lea’s und Bilha’s, ihr solltet euch schämen! Sind wir Räuber der Wüste, die da kommen über das Land gleich Heuschrecken und gleich einer Plage Gottes und fressen die Ernte des Ackermannes? Sind wir Gesindel, Ungenannte und Niemandssöhne, daß wir die Wahl hätten, zu betteln oder zu stehlen? War nicht Abraham ein Fürst unter den Fürsten des Landes und ein Bruder der Mächtigen? Oder wolltet ihr euch setzen mit triefendem Schwert zu Herren der Städte und leben in Krieg und Schrecken – wie wolltet ihr weiden unsere Lämmer auf den Triften, die wider euch
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