Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
eingefunden. Einhellig hätte der ganze Damenflor verkündet, daß Joseph der Unschuld Fürst und der Reinheit Zier sei. Danach aber hätte »Suleicha« allein das Wort ergriffen, sich tief gedemütigt und öffentlich bekannt, daß sie die Frevlerin gewesen, jener aber ein Engel sei. Schmachvolles habe sie verbrochen, so hätte sie rückhaltlos gestanden, nun aber sei sie geläutert und trage willig Scham und Schande. Das hätte sie nach Josephs Erhöhung dann auch noch jahrelang in ihrer Hütte getan und wäre darüber alt und grau geworden. Erst an dem Festtage, als Vater Jaakob seinen angeblich pompösen Einzug in Ägyptenland gehalten – zu einem Zeitpunkt also, als Joseph in Wirklichkeit schon zwei Söhne hatte – wäre das Paar wieder zusammen getroffen; Joseph hätte der Alten vergeben, und zum Lohn dafür wäre durch Himmelsmacht ihre ehemalige verführerische Schönheit wiederhergestellt worden und Joseph hätte sich ihr aufs süßlichste vermählt, so daß sie denn also, nach alten Wünschen, schließlich doch noch »Häupter und Füße zusammengetan« hätten.
Das alles ist Moschus und persisches Rosenwasser. Mit den Fakten hat es nicht das Geringste zu tun. Erstens starb Potiphar nicht so bald. Warum hätte der Mann vorzeitig sterben sollen, der vor Kräfteverschwendung durch seine besondere Verfassung bewahrt war, in sich geschlossen ganz seinem eigensten Interesse lebte und sich oft auf der Vogeljagd erfrischte? Das Schweigen der Geschichte über seine Person seit dem Tage des Hausgerichts bedeutet allerdings ein Verschwinden von der Szene, aber keineswegs im Sinne des Todes. Man darf nicht vergessen, daß während der Gefangenschaft Josephs ein Thronwechsel stattgefunden hatte, und daß mit einem solchen auch ein Wechsel des Hofstaates, oder doch eines Teiles davon, einherzugehen pflegt. Peteprê, der, wie wir wissen, als Schein-Truppenoberst ohne wirkliche Kompetenzen manchen Ärger gehabt, hatte sich nach der Beisetzung Nebmarê's des Prächtigen mit dem Titel und Rang eines Einzigen Freundes ins Privatleben zurückgezogen. Er ging nicht mehr zu Hofe, brauchte es jedenfalls nicht mehr zu tun und hat es an den Tagen von Josephs Vergoldung aus einem Taktgefühl, das ihm durchaus zu eigen war, augenscheinlich vermieden. Wenn er ihm auch in der Folge nicht mehr begegnete, so hatte das teils seinen Grund darin, daß Joseph, wie wir sehen werden, seine Residenz als Herr der Vorsorge und Sättigung nicht in Theben, sondern in Memphis nahm, teils wiederum in jener taktvollen Vermeidung. Sollte aber im Lauf der Jahre ein Zusammentreffen bei irgendeiner feierlichen Gelegenheit dennoch sich ereignet haben, so kann man überzeugt sein, daß es sich ohne ein Wimperzucken, in vollkommener Diskretion und beherrschtester Ignorierung der Vergangenheit auf beiden Seiten abspielte: Eben dieses Verhalten ist es, das sich in dem Verstummen der maßgebenden Überlieferung widerspiegelt.
Dieses erstreckt sich auch auf Mut-em-enet, und aus ebenso guten Gründen. Daß Joseph sie nicht wiedersah, ist nun schon ganz gewiß, aber ebenso gewiß ist es, daß sie keine Buß-Hütte bezog und sich nicht öffentlich der Schamlosigkeit anklagte, was obendrein eine Lüge gewesen wäre. Diese große Dame, das Werkzeug von Josephs Prüfung – einer Prüfung, die er gar nicht besonders glänzend bestanden, aber eben doch gerade bestanden hatte –, kehrte nach dem Scheitern jenes verzweifelten Versuchs, ihrem Ehren-Dasein ins Menschliche zu entkommen, notgedrungen und für immer zu der Lebensform zurück, die ihr bis zu ihrer Heimsuchung die natürliche und einzig bekannte gewesen war; ja, sie verfestigte sich starrer und stolzer darin als je zuvor. Ihr Verhältnis zu Potiphar hatte durch die vorzügliche Weisheit, die dieser bei der Katastrophe bewiesen, eher an Wärme gewonnen, als daß es unter dem Vorgefallenen gelitten hatte. Daß er wie ein Gott gerichtet, erhaben über das Menschenherz, dafür wußte sie ihm Dank und war ihm fortan eine untadlig ergebene Ehrengemahlin. Dem Geliebten fluchte sie nicht wegen der Leiden, die er ihr zugefügt, oder die sie sich zugefügt um seinetwillen; denn Liebesleiden sind aparte Leiden, die erduldet zu haben noch nie jemand bereut hat. »Du hast mein Leben reich gemacht – es blüht!« So hatte Eni gebetet mitten in der Qual, und da sieht man, was es Besonderes, sogar noch zum Dankgebet Stimmendes auf sich hat mit Liebesqualen. Immerhin, sie hatte gelebt und geliebt, – zwar unglücklich
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