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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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geliebt, aber gibt es das eigentlich, und sieht sich hier nicht jedes Mitleid als alberne Zutunlichkeit abgewiesen? Eni verlangte keines und war viel zu stolz, sich selbst zu bemitleiden. Ihr Leben aber war nun abgeblüht und sein Verzicht streng und endgültig. Die Formen ihres Leibes, der vorübergehend ein Liebeshexenleib gewesen war, bildeten sich rasch zurück – nicht zu der Schwanenschönheit, die ihrer Jugend eigen gewesen, sondern ins Nonnenhafte. Ja, eine kühle Mond-Nonne mit keusch zurückgebildeter Brust war Mut-em-enet von nun an, unnahbar elegant und – so muß man hinzufügen – außerordentlich bigott. Wir wissen es alle noch, wie sie einst, zur Zeit ihrer schmerzhaften Lebensblüte, dem weltläufig-fremdfreundlichen Atum-Rê von On, dem Herrn des weiten Horizonts, von dem sie Gunst erwartete für ihre Leidenschaft, zusammen mit dem Geliebten geräuchert hatte. Das war vorbei. Eng, streng und volksfromm zusammengezogen war ihr Horizont nun wieder; dem Rinderreichen von Epet-Esovet und seinem bewahrenden Sonnensinn gehörte mehr als je ihre ganze Devotion, der geistlichen Beratung seines jede Neuerung hassenden, alle Spekulation verpönenden Ober-Blankschädels, des großen Beknechons’, allein war ihr Sinn geöffnet, und schon dies entfremdete sie dem Hof Amenhoteps des Vierten, wo eine Religion zärtlichallumfassenden Entzückens guter Ton zu werden begann, die in ihren Augen mit Frömmigkeit überhaupt nichts zu tun hatte. Das heilige Beharren, den ewigen Gleichstand der Waage, die steinern hinausblickende Dauer feierte sie, wenn sie im engen Hathorenkleide die Klapper regte vor Amun in gemessenem Tanzschritt und dem Chor seiner adeligen Nebenfrauen vorsang aus flachem Busen, aber mit immer noch beliebter Stimme. Und doch ruhte auf dem Grunde ihrer Seele ein Schatz, auf den sie heimlich stolzer war als auf alle ihre geistlichen und weltlichen Ehren, und den sie, ob sie sich’s eingestand oder nicht, für nichts in der Welt dahingegeben hätte. Ein tief versunkener Schatz, der aber immer still heraufleuchtete in den trüben Tag ihrer Entsagung und, wieviel Niederlage auch darin einschlägig war, ihrem geistlichen, ihrem weltlichen Stolz eine unentbehrliche Ergänzung von menschlichem, von Lebensstolz verlieh. Es war die Erinnerung – nicht einmal so sehr an ihn, der, wie sie hörte, nun Herr geworden war über Ägyptenland. Er war nur ein Werkzeug, wie sie, Mut-em-enet, ein Werkzeug gewesen war. Vielmehr und fast unabhängig von ihm war es das Bewußtsein der Rechtfertigung, das Bewußtsein, daß sie geblüht und geglüht, daß sie geliebt und gelitten hatte.
    Herr über Ägyptenland
    Herr über Ägyptenland – wir brauchen den Ausdruck im Geist einer Übereinkunft, die sich in der Apotheose nicht genug tun kann, und im Sinne der schönen Übertreibung, die Pharao sich zugunsten des Deuters seiner Träume nun einmal gönnte. Aber wir brauchen ihn nicht ungeprüft und mit fabelnder Fahrlässigkeit, sondern unter dem vernünftigen Vorbehalt, den die Treue zur Wirklichkeit uns auferlegt. Denn hier wird nicht aufgeschnitten, sondern erzählt, was jedenfalls zwei sehr verschiedene Dinge sind – welchem von beiden man nun den Vorzug geben möge. Den augenblicklich stärkeren Effekt wird jederzeit die Aufschneiderei für sich haben; aber wahrer Gewinn erwächst der Hörerschaft doch eben nur aus der besonnen untersuchenden Erzählung.
    Joseph wurde ein sehr großer Herr am Hof und im Lande, das ist keine Frage, und das persönliche Vertrauensverhältnis, das ihn seit der Unterredung im Kretischen Gartenzimmer mit dem Monarchen verband, seine Günstlingsstellung also, ließ die Grenzen seiner Machtbefugnisse etwas ins Ungewisse verschwimmen. Aber er war nie eigentlich »Herr über Ägyptenland« oder, wie Sage und Lied es zuweilen ausdrücken, »Regent der Länder«. Seine Erhöhung, die traumhaft genug war, und seine ausschweifende Titulatur änderten nichts daran, daß die großen Verwaltungszweige des Landes seiner Entrückung in den Händen der Kronbeamten blieben, die teilweise schon unter König Neb-ma-rê damit betraut gewesen waren, und es wäre reiner Überschwang, anzunehmen, daß dem Sohne Jaakobs zum Beispiel auch das Justizwesen, das seit Urzeiten Sache des Oberrichters und Wesirs, gegenwärtig der beiden Wesire, war, oder die Leitung der äußeren Politik unterworfen gewesen wäre, – die wahrscheinlich glücklichere Ergebnisse gezeitigt hätte als die dem Geschichtsforscher

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