Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
euch Barmherzigkeit vor dem Mann, daß er euch euren anderen Bruder lasse und Benjamin! Herr, nur auf Borg und Rückgabe geb ich ihn dir dahin auf die Reise, kein Mißverstehen sei zwischen dir und mir, ich opfere ihn dir nicht, daß du ihn verschlingest wie mein anderes Kind, ich will ihn zurückhaben! Gedenke des Bundes, Herr, daß des Menschen Herz fein und heilig werde in dir und du in ihm! Bleibe nicht hinter dem fühlsamen Menschenherzen zurück, Gewaltiger, daß du mir den Knaben veruntreust auf der Reise und wirfst ihn dem Untier vor, sondern mäßige dich, ich flehe dich an, und erstatte mir redlich die Leihgabe zurück, so will ich dir auf der Stirne dienen und dir verbrennen, was deine Nase entzückt, die besten Teile!«
So betete er empor und traf dann Anstalten zusammen mit Eliezer (eigentlich Damasek), den Todessohn abzufertigen für die Fahrt und ihn zu versorgen dafür wie eine Mutter; denn in nächster Frühe sollten die Brüder sich aufmachen, um zu Gaza drunten den Reisezug nicht zu verfehlen, der sich dort versammelte, und das kam der frohen Ungeduld Benonis zustatten, der überglücklich war, daß er endlich aus seiner symbolischen Eingesperrtheit, diesem Immer-zu-Hause-Sein, das Unschuld bedeutete, entlassen sein und die Welt sehen sollte. Er hüpfte nicht vor Jaakob und schlug nicht mit den Fersen auf, weil er nicht siebzehn war, wie damals Joseph, sondern schon an die dreißig, und das pathetische Herz nicht kränken wollte durch seine Freude, davon zu kommen; auch weil sein umflortes Dasein als Muttermörder ihm keine Sprünge gestattete und er nicht aus der Rolle fallen durfte. Aber vor seinen Weibern und Kindern brüstete er sich nicht wenig mit seiner Freizügigkeit und daß er nach Mizraim fahren werde, um Schimeon zu befreien durch sein Eintreten; denn nur er allein vermöge das über den Herrn des Landes.
Man konnte sich aber so kurz fassen mit den Anstalten, weil erst in Gaza die Reisenden ihren Bedarf einkaufen würden für die Wüstenreise. Für jetzt bestand ihr Haupt-Gepäck in den Geschenken für Schimeons Kerkermeister, den Markthalter Ägyptens, die Jung-Eliezer aus den Magazinen herbeigeschafft hatte: als da waren das Aromatisch-Abgetropfte, der Traubensyrup, die Myrrhenharze, die Nüsse und Früchte. Ein eigener Esel war für diese Gaben bestellt, für deren Güte das Land gepriesen war.
Im Morgenlicht schieden die Brüder zur zweiten Reise, in gleicher Zahl wie das erste Mal, denn um einen waren sie weniger und um einen mehr. Die Hofleute standen umher und weiter innen die Zehn, ihre Tiere am Halfter. Aber ganz innen stand Jaakob und hielt, was ihm geblieben war von der Frühgeliebten. Dazu waren die Leute gekommen, um zu sehen, wie Jaakob von dem Behüteten Abschied nahm, und sich zu erbauen an dem Ausdruck würdigsten Trennungsschmerzes. Lange hielt er den Jüngsten, hing ihm den Schutz um des eigenen Halses und murmelte an seiner Wange mit aufgehobenen Augen. Aber die Brüder schlugen die ihren mit bitter-duldsamem Lächeln zu Boden.
»Juda, du bist’s«, sprach er endlich allen vernehmlich. »Du hast dich verbürgt für diesen, daß ich ihn fordern solle von deiner Hand. Aber höre: Du bist deiner Bürgschaft entbunden. Denn bürgt auch ein Mensch wohl für Gott? Nicht auf dich will ich bauen, denn was vermöchtest du wider Gottes Zorn? Sondern ich baue auf ihn allein, den Fels und den Hirten, daß er mir diesen erstatte, den ich ihm anvertraue im Glauben. Hört es alle: Er ist kein Unhold, der da spottet des Menschenherzens und tritt’s in den Staub wie ein Wüstling. Er ist ein großer Gott, geläutert und abgeklärt, ein Gott des Bundes und der Verläßlichkeit, und soll ein Mensch bürgen für Ihn, so brauch ich dich nicht, mein Löwe, sondern ich selbst will bürgen für seine Treue, und er wird sich’s nicht antun, zuschanden werden zu lassen die Bürgschaft. Ziehet hin«, sagte er und schob Benjamin von sich, »im Namen Gottes, des Barmherzigen und Getreuen! – Aber habt dennoch ein Auge auf ihn!« setzte er mit versagender Stimme hinzu und wandte sich gegen sein Haus hinweg.
Der silberne Becher
Als diesmal Joseph, der Ernährer, vom Amte nach Hause kam, die Nachricht im Herzen, daß die zehn Leute von Kanaan die Grenze passiert hatten, merkte Mai-Sachme, sein Haushalter, ihm gleich alles an und fragte:
»Nun denn, Adôn, es ist wohl an dem, und um ist die Wartezeit?«
»Es ist an dem«, antwortete Joseph, »und sie ist um. Gekommen ist es, wie es
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