Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
der Übertage des Jahres, sodaß er schon einigen Grund hatte, wenn er beim Abschied zu ihnen sagte: »Zanket nicht auf dem Wege!« Er meinte damit aber mehr, daß sie nicht sollten auf alte Dinge kommen und einander nicht vorhalten, was der eine getan und der andere nicht wußte. Denn daß sie auf Benjamin eifern könnten, weil er sein Brüderchen rechter Hand soviel reicher beschenkt, das kam ihm garnicht in den Sinn, und es war denn auch fern von ihnen. Wie Lämmer waren sie und fanden alles ganz in der Ordnung. Als stürmische junge Leute hatten sie sich tätlich empört gegen Ungerechtigkeit, und nun war es so damit ausgegangen, daß sie sich mit Ungerechtigkeit gründlich abgefunden und ewig nichts einzuwenden hatten gegen das große »Ich gönne, wem ich gönne, und erbarme, wes ich erbarme«.
Wie fangen wir’s an?
Es ist bewundernswert und schmeichelt dem Geiste, wie in dieser Geschichte die schönen Entsprechungen sich ordnen und ein Stück sich in seinem Gegenstücke erfüllt. Da waren nun vor Zeiten, sieben Tage nachdem Jaakob das Zeichen empfangen, die Brüder heimgekehrt vom Tale Dotan, um mit dem Vater zu klagen über Josephs Tod, und war ihnen übel gewesen vor Angst, wie sie ihn finden und wie mit ihm leben würden unterm halbfalschen, aber hinlänglich zutreffenden Argwohn, daß sie des Knaben Mörder seien. Jetzt, weiß auf den Köpfen, kehrten sie wieder nach Hebron heim, die nicht minder ungeheuerliche Nachricht im Gewande, daß Joseph die ganze Zeit nicht tot gewesen und es auch jetzt nicht sei, sondern lebe und zwar in Herrlichkeit; und beinahe ebenso beklommen war ihnen zu Mut bei der Aufgabe, dieses dem Alten beizubringen; denn ungeheuerlich ist ungeheuerlich und überwältigend – überwältigend, ob es nun Leben beinhalte oder Tod, und sie fürchteten sehr, daß Jaakob auf den Rücken fallen werde, so gut wie damals, diesmal aber, da er unterdessen zwanzig Jahre älter geworden, einfach des Todes sterben werde vor »Freude«, das heißt vor Glückesentsetzen und von Schockes wegen, sodaß Josephs Leben die Ursache seines Todes sein und er den Lebenden garnicht mit Augen mehr sehen würde, noch dieser ihn. Außerdem würde bei dieser Gelegenheit fast unvermeidlich herauskommen, daß sie zwar nicht des einstigen Knaben Mörder seien, wofür Jaakob sie all die Zeit her halb und halb gehalten, daß sie es eben halb und halb aber doch gewesen seien und nur zufällig nicht ganz, dank der Findigkeit der Ismaeliter, die ihn nach Ägypten gebracht. Dies trug nicht wenig zu ihrem freudigfurchtsamen Leibziehen bei, und nur der Gedanke beruhigte sie zu einem Teil, daß die Gnade, die Gott ihnen erwiesen, indem er durch seine Sendlinge, die Midianiter, die volle Mordtat von ihnen abgewandt hatte, den Jaakob notwendig beeindrucken und ihn abhalten werde, mit so gottbegnadeten Leuten ins Gericht zu gehen und sie zu verfluchen.
Um diese Dinge drehte sich ihr Gespräch während der ganzen siebzehntägigen Reise, die ihnen, bei aller Ungeduld, sie zu vollenden, doch wieder zu kurz schien, um zu Rande zu kommen mit ihren Beratungen, wie sie’s dem Jaakob schonend beibrächten, und wie sie vor ihm dastehen würden, wenn sie’s ihm beigebracht.
»Kinder«, sprachen sie untereinander – denn seit Joseph gesagt hatte »Kinder, ich bin es ja«, redeten sie sich gegenseitig öfters mit »Kinder« an, was früher ganz ungebräuchlich bei ihnen gewesen war, – »Kinder, ihr sollt sehen, er fällt uns auf den Rücken, wenn wir’s ihm sagen, außer, wir stekken’s ihm sehr fein und sänftiglich! Aber ob fein oder gröblich – meint ihr denn, er wird uns glauben, was wir ihm sagen? Aller Voraussicht nach wird er uns überhaupt nicht glauben wollen, denn in so ungezählten Jahren, da setzt der Gedanke des Todes sich fest in einem Kopf und Herzen und ist nicht so leicht umzustoßen noch zu vertauschen mit dem Gedanken des Lebens, – das ist der Seele am Ende garnicht willkommen, denn sie hängt an ihrer Gewohnheit. Bruder Joseph meint, es wird eine große Freude sein für den Alten, und das wird es natürlich auch, – eine gewaltige Freude, – laßt uns hoffen, nicht übergewaltig für seine Kräfte. Aber weiß auch der Mensch mit der Freude immer gleich etwas anzufangen, wenn der Gram seine Speise war Jubiläen lang, und ist’s ihm recht, zu erfahren, daß er im Wahn sein Leben verbracht hat und seine Tage im Irrtum? Denn der Gram war sein Leben, und nun ist’s Essig damit. Das wird mehr als sonderbar
Weitere Kostenlose Bücher