Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
einverstanden bin mit sehr vielem, was unser Herr und Gott Domitian zu sagen und zu tun geruht. Ich bin vielmehr – ich habe vor Ihnen immer ohne Umschweife gesprochen – ein Staatsfeind im Sinne des Norban, ich verlange eine viel weitergehende Autonomie für Griechenland, ich gefährde den Bestand des Reichs, Sie und Annius Bassus dürften mich eigentlich nicht in Ihrem Hause dulden, und es wird sicher einmal ein schlechtes Ende mit mir nehmen. Es ist ein Wunder, daß mich der Kaiser noch nicht hat exekutieren oder zumindest an seine Grenzen hat verbannen lassen wie meinen großen Freund Dio von Prusa.« – »Sie sind geschwätzig«, sagte ungeduldig Dorion, »und Sie kommen vom Thema ab.« – »Ich bin geschwätzig«, antwortete ungekränkt Phineas, »wir Griechen sind es alle, wir haben Freude am schöngesetzten Wort. Aber vom Thema komme ich nicht ab. Da einige der mißvergnügten Senatoren meine Gesinnung genau kennen und wissen, daß ich ein Feind des Regimes bin, geben sie sich offen vor mir und schließen mich nicht aus, wenn sie über den Palatin abfällige Reden führen. Ich weiß also, daß Senator Proculus im vertrauten Kreis folgendes zum besten gegeben hat. Er habe jetzt dreimal Gelegenheit gehabt, den Juden Josephus im Gespräch mit der Kaiserin zu beobachten, wenn sich die Herrin Lucia und der Jude unbeobachtet glaubten. Er habe da gewisse Blicke wahrgenommen, halbe Wendungen, kleine Gesten, nichts weiter, und wisse nun doch, und zwar mit einer Gewißheit, die unumstößlicher sei, als wenn er einen Beischlaf mitangesehen hätte, daß es mehr sei als die Neigung zu einem talentierten Schriftsteller, was die Herrin Lucia mit diesem Manne verbindet. Nun kann man gegen Senator Proculus vieles vorbringen, er ist ein verbohrter Republikaner und stur römisch, aber eines muß man ihm lassen: er hat die praktische Psychologie, die vielen Römern eignet. Das ist alles, Herrin Dorion, und nun behaupten Sie noch einmal, ich hätte nicht zum Thema gesprochen.«
Dorion war immer tiefer erblaßt. Nie war sie auf Mara eifersüchtig gewesen, nie eifersüchtig auf eine der vielen Frauen, mit denen Josef geschlafen hatte. Aber daß Beziehungen sein sollten zwischen Lucia und Josef, wie sie dieser Senator Proculus wahrgenommen haben wollte, das verstörte ihr das Innere. Ihre Lebendigkeit war immer etwas erkünstelt gewesen, sie hatte sie aus allen Winkeln ihres Seins zusammenkratzen müssen. Jetzt hatte sie das ihr zugemessene Teil Vitalität verbraucht und war eine alte Frau, aber da Annius in ihr immer noch die frühere Dorion sah, hatte sie sich bis jetzt weismachen dürfen, auch Josef werde, wenn er an sie denke, immer noch an die frühere Dorion denken. Lucia aber war das, was Dorion gern hätte sein wollen, das wilde, strotzende Leben. Lucia ist, obwohl so anders geartet, eine vollendete Dorion, eine jüngere, bessere. Und Lucia ist schöner, Lucia ist lebendiger, Lucia ist die Kaiserin. Wenn es so ist, wie dieser Senator Proculus wahrgenommen haben will, dann wird Lucia den letzten Schatten der Dorion aus Josefs Herzen verdrängen. Dann bleibt nichts von Dorion in Josef.
Aber es ist eben nicht so. Das Ganze ist nichts als das Gerede eines mißvergnügten Senators, eines sturen Republikaners, den der Haß in jeder Maus einen Elefanten sehen macht, und der Haß des Phineas tut ein übriges dazu.
Und selbst wenn es wahr sein sollte, was dann? Liebt sie denn den Josef?
Natürlich liebt sie ihn. Und sie hat ihn immer geliebt. Und sie ist eine Närrin gewesen, daß sie sich von ihm getrennt hat. Und jetzt hat sie den Annius an Stelle des Josef. Und Josef, der kluge, der Sohn des Glücks, hat Lucia eingetauscht gegen sie. Er war nicht einmal klug, er hat es nicht einmal gewollt, er hat nur sie gewollt, Dorion, aber sie hat ihn dazu gezwungen, sich Ersatz zu suchen, sie hat ihn der Lucia in die Arme getrieben.
Aber nein. Das duldet sie nicht. Das darf nicht so bleiben. Sie denkt nicht daran, beiseite zu stehen und zuzuschauen. Sie wird ihm diese Suppe versalzen.
»Und Domitian?« fragte sie unvermittelt.
Phineas richtete den Blick voll auf Dorion, ein böses, listiges, haßvolles, vertrauliches Flackern war darin. Daß sie so frage, hatte er gewollt. Sehr wohl hatte er zum Thema gesprochen, mit guter Kunst, dahin hatte er sie lenken wollen, in ihr sollte der Plan entstehen. Wie damals die Universität Jabne, so hatte er jetzt von neuem eine Stelle gefunden, an der er den Gegner
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