Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
einnehmen. Was also will sie?
Vieles will sie, und wenn es ihr untertags gelingt, die bösen Gedanken zu vertreiben, ihre Nächte sind voll von Bitterkeit. Wo ist sie geblieben, die schmale Dorion von einst mit dem leichten, reinen Profil und dem zarten, hochfahrenden Gesicht? Wenn sie sich jetzt in den Spiegel schaut, dann sieht ihr eine dürre, säuerliche, unfrohe, alternde Frau entgegen, und es nützt ihr wenig, daß ihr wackerer Annius das nicht sehen will und an ihr hängt wie von je. In den Vierzig ist sie, das Alter ist da, und was hat sie vom Leben gehabt? Wie viel aber hätte sie haben können! Verpfuscht hat sie ihr Leben, auf frivole Art vertan hat sie es. Selber böswillig getrennt hat sie sich von dem einzigen Manne, zu dem sie gehört. Und wenn das Leben ihres Sohnes leer und gemein und niedrig geworden ist, dann trägt sie die Schuld, eben durch diese Trennung. Denn wenn sie bei dem Manne geblieben wäre, dann hätte sich auch Paulus bewährt, so wie er begonnen hat.
In letzter Zeit hat sie, ob sie es wollte oder nicht, viel gehört über ihren weiland Mann. Wohin immer sie kam, klang ihr sein Name entgegen. Sie hat gehört von der Abreise der Mara und der Kinder des Josef, und sie hat die Achseln gezuckt. Sie hat gehört von der Universalgeschichte, und sie hat sie gelesen, und sie hat die Achseln gezuckt und das Buch beiseite gelegt, und sie hat gehört, daß es die andern ebenso gemacht haben. Das ist ihr eine Genugtuung gewesen. Der Mann war ein guter Schriftsteller, solange er voll Leidenschaft war, solange er mit ihr zusammen war und sie begehrte, und seitdem sie sich von ihm getrennt hat, ist er ausgeschrieben. Sie hat dann gehört, daß er seinen Sohn auf den Palatin gebracht hat und in den Dienst der Lucia, und sie hat die Achseln gezuckt. Er ist immer ein Streber gewesen, dieser Josef, und da er mit seiner Literatur nicht mehr vorankommt, versucht er es mit Streberei. Mag er! Ihr war es recht, daß sie sein Bild mit einer Schicht leiser Verachtung und Gleichgültigkeit zudecken konnte. Und sie hat Weiteres über ihn gehört. Sie hat gehört, daß er eine Vorlesung veranstalten wollte, und merkwürdigerweise im Friedenstempel, und daß der Kaiser dieser Vorlesung beiwohnen wird. Um ein Haar wäre sie hingegangen. Aber sie überlegte, daß das Getuschel geben wird und daß es dem Annius nicht angenehm sein wird, und soviel lag ihr wirklich nicht mehr an Josef, daß sie das hätte auf sich nehmen wollen, um dabeizusein, wenn er sich eitel blähte. Und sie hat die Achseln gezuckt und ist nicht in den Friedenstempel gegangen.
Dann aber hat sie anderes gehört, und sie hat es brennend bereut, daß sie seiner Vorlesung nicht beiwohnte. Denn streberisch hat er sich nicht gezeigt bei dieser Vorlesung, das kann man wirklich nicht behaupten, ja eigentlich muß es großartig gewesen sein, wie er dem Kaiser seine Wahrheit und seine Anklagen ins Gesicht geschleudert hat, vor den dreitausend Zuhörern. Nein, feig ist er nicht, feig ist er ganz und gar nicht. Freilich, auch ihr Annius ist nicht feig, und ihr Paulus nicht. Sie stehen beide ihren Mann in der Schlacht. Aber die Tapferkeit des Josef ist doch wohl eine ganz andere Art von Mut, eine viel reizvollere. Ein wenig marktschreierisch, vielleicht, aber gleichwohl großartig. Wenn er diesen merkwürdigen, marktschreierischen, schamlosen und großartigen Mut nicht hätte, dann hätte er wohl auch damals die Geißelung nicht auf sich genommen, ihrethalb. Eine ganz feine Röte überwölkt ihr bräunliches Gesicht, wie sie daran denkt.
Sie will nicht länger daran denken, sie will nicht länger allein sein, sie will sich ablenken, sie will Menschen sehen. Sie ließ die Sänfte halten und die Vorhänge hochschlagen. Jetzt drang die Buntheit der Stadt auf sie ein, die Fülle der Gesichter, viele begrüßten sie, ab und zu ließ sie die Sänfte halten und sprach mit dem, mit jenem. Es glückte ihr, die bösen Gedanken zu übertäuben.
Zu Hause angekommen indes, fand sie einen Besucher vor, der sie zwang, sich noch mehr und dringlicher mit ihrer Vergangenheit und mit Josef abzugeben als bisher. Phineas wartete auf sie, der Grieche Phineas, der Lehrer ihres Paulus, Josefs Feind.
Er stand, als Dorion eintrat, vollendet ruhig da, sein großer, ungewöhnlich blasser Kopf schaute unbewegt über dem dürren Körper, er hielt die dünnen, langen Hände vollkommen ruhig. Doch Dorion wußte, mit wieviel Überwindung diese Ruhe erkauft war.
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