Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
leere, brutale Nationalstolz der Römer, der Stolz, zu jenen zu gehören, die mit Blut und Eisen die Welt unterworfen haben.
Sanft und gleichmäßig schaukelte die Sänfte auf den Schultern der trainierten kappadokischen Träger. Dorion kam zurück vom zweiten Meilenstein der Appischen Straße, bis dahin hatte sie ihrem Sohne das Geleite gegeben. Ja, fast ohne Schwanken bewegte sich die Sänfte; sie hatte Vorrechte, der Vorläufer hielt den rostbraunen Schild mit dem goldenen Kranz hoch, und auch die rostbraunen Vorhänge der Sänfte zeigten den goldenen Kranz, das Zeichen, daß man der Sänfte ausweichen mußte, da sie zum Haushalt eines kaiserlichen Ministers gehörte. Doch der leichte Gang der Sänfte machte die Gedanken der Dame Dorion nicht angenehmer.
Jetzt also ist Paulus auf dem Weg zurück nach Judäa. Er hat es zu etwas gebracht, er hat sich als Soldat bewährt, er ist der Adjutant des Gouverneurs Falco, er hat mitzureden; seinem Stiefvater Annius, ihrem Mann, hat Paulus diesmal ganz besonders gefallen. Er wird Karriere machen. Er wird sich auszeichnen im nächsten Feldzug, er wird auch einmal, da er es so heftig wünscht und da er Energie hat, Gouverneur in Judäa werden und den Juden zeigen, was ein Römer ist. Und es ist durchaus nicht ausgeschlossen, daß sich auch sein höchster Traum erfüllt und daß er einmal die Armeen des Reichs verwaltet wie jetzt Annius. Er ist sehr römisch, und die Zeit ist sehr römisch, und der Kaiser ist sehr römisch, und Annius liebt den ausgezeichneten Offizier Paulus; warum soll er schließlich nicht des Annius Nachfolger werden?
Und was wird sein, wenn er das alles erreicht hat? Er wird sich auf der Höhe des Lebens vorkommen. Und er wird glauben, auch sie, Dorion, sei bis ins Innerste befriedigt von dem, was er erreicht hat. Ach, wie wenig weiß er von ihr, ihr Sohn Paulus!
Mit Grimm denkt sie an die vulgären Ausbrüche des Judenhasses, zu denen er sich bei Tische hat hinreißen lassen, der ehemals so prinzliche Paulus. Seine wüsten und törichten Reden sind ihr doppelt zuwider gewesen, weil sie kurz vorher den »Apion« gelesen hatte. Sie hat geschwankt, ob sie’s tun solle, aber da alle Welt von dem Buche sprach, hat sie es getan. Und es erging ihr wie aller Welt, denn sie hat die Stimme des Josef gehört, während sie las, sie hat die Stimme nicht aus dem Ohr bekommen, und oft war ihr, als spräche er allein zu ihr durch dieses Buch. Sie war voll glühenden Zornes, während sie las, und sie war voll glühender Scham, und, warum soll sie sich’s nicht selber eingestehen, ein wenig auch hat sich in ihr gerührt von jenen alten, heftigen Gefühlen für den Mann, der aus diesem Buche mit solcher Hitze und mit solcher Wildheit zu ihr redete.
Mehrmals hat sie daran gedacht, dem Paulus das Buch zu geben. Sie wird sich immer wieder vorhalten, daß sie’s nicht getan hat. Aber sie ist froh, daß sie’s nicht getan hat. Denn durchaus möglich war es, daß er auch zum »Apion« nichts hätte vorbringen können als plattes, bösartiges Geschwätz, und das hätte sie schwer verwunden.
Das Leben ist voll von merkwürdigen Zufällen. Vielleicht wird sie, nachdem sie an Paulus eine solche Enttäuschung hat erleben müssen, um so mehr Freude an Junius haben, ihrem zweiten Sohn. Vorläufig freilich sieht es nicht so aus. Vorläufig sieht es aus, als werde er dem Vater nachgeraten, dem Annius, als werde er ein wackerer, lauter, selbstbewußter, sehr römischer junger Herr werden und sich gut in die Zeit fügen. Es geschieht oft, daß sie das nicht wahrhaben will, oft sieht sie allerlei hinein in ihren Junius. Aber jetzt, in der Sänfte heimkehrend vom zweiten Meilenstein an der Appischen Straße, scheint ihr auch da alles trüb und aussichtslos.
Von außen her durch die heruntergelassenen Vorhänge der Sänfte dringt der Lärm der Stadt Rom. Sie weichen ihrer Sänfte aus, die Bürger der großen Stadt, sie geben ihr Raum und Ehre. Sicher beneidet man sie. Ist sie nicht auch hoch hinaufgelangt, die Tochter des Malers, der sich verzehrte in niemals gesättigtem Ehrgeiz? Er hätte es genossen, das, was sie erreicht hat. Sie hat ihren erprobten Gatten, der sie liebt, den Kriegsminister Annius Bassus, fest in der Gunst des Kaisers seit so vielen Jahren. Sie hat ihre beiden, wie sagt man doch?, blühenden Söhne, wohlgeraten beide. Sie gehört zum Ersten Adel des Reichs, und ihre Söhne werden menschlicher Voraussicht nach erste Stellen des Reichs
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