Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
Leidenschaft.
»Stellen Sie sich vor, Majestät«, erläuterte angeregt der Bildhauer, da sein Werk dem Kaiser sichtlich gefiel, »wie die Statue wirken muß, wenn sie erst in ganzer Größe vollendet ist. Wenn Sie mir die Ausführung meines Projektes erlauben, Majestät, dann wird diese Statue mehr noch der Gott Domitian sein als der Gott Mars. Denn hier zieht nicht der übliche Helm die Hauptaufmerksamkeit des Beschauers auf sich, auch nicht der gewaltige Leib, sondern jede Einzelheit ist darauf berechnet, die Aufmerksamkeit des Beschauers auf das Gesicht hinzulenken, und es ist der Ausdruck des Gesichts, der den Gott übers menschliche Maß hinaushebt. Dieses Gesicht soll dem Erdkreis zeigen, was der Titel Herr und Gott besagen will.«
Der Kaiser schwieg, doch aus seinen vortretenden, kurzsichtigen Augen beschaute er mit sichtlich steigendem Wohlgefallen sein Bild. Ja, das wird eine gute Sache. Mars und Domitian, sie gehen gut ineinander, diese beiden. Selbst die Haare, wie er sie leicht in die Wange hat hineinwachsen lassen, selbst diese Andeutung eines Backenbarts paßt gut zur Vorstellung des Gottes Mars. Und die drohend zusammengezogenen Brauen, die Augen, voll von Stolz und Herausforderung, der gewaltige Nacken, das sind Eigenschaften des Gottes Mars und dabei Merkmale, an denen jeder ihn erkennen muß, den Domitian. Dazu das entschiedene Kinn, das einzig Gute an des Vaters Kopf und, glücklicherweise, das einzige auch, was er, Domitian, von ihm geerbt hat. Er hat recht, dieser Bildhauer Basil: der Titel, den er sich hat zusprechen lassen, der Titel Herr und Gott, an diesem Mars sieht jeder, was er besagen will. So wie dieser ruhende Mars, so will er sein, Domitian, und so ist er: gerade in der Ruhe düster, göttlich, gefährlich. So hassen ihn seine Aristokraten, so liebt ihn sein Volk, so lieben ihn seine Soldaten, und was Vespasian mit all seiner Leutseligkeit, was Titus mit all seinem Geschmetter nicht erreicht hat, Volkstümlichkeit, er, Domitian, hat es erreicht, eben durch seine finstere Majestät.
»Interessant, sehr interessant«, anerkannte er, diesmal aber mit dem rechten Ton, und: »Das haben Sie nicht schlecht gemacht, mein Basil.«
Und nun liegt ein langer Abend vor dem Kaiser, und was soll er beginnen, bevor er schlafen geht? Wenn er sich die Gesichter der Menschen vorstellt, die er hierher nach Alba geladen hat, dann, so viele es ihrer sind, findet er keinen, auf dessen Gesellschaft er Lust hätte. Nach einer einzigen steht sein Verlangen; aber die zu rufen, verbietet ihm sein Stolz. Er wird also den Abend lieber allein verbringen, bessere Gesellschaft als die eigene findet er nicht.
Er gibt Weisung, alle Lichter des großen Festsaals anzuzünden. Auch die Mechaniker läßt er kommen, die sinnreiche Maschinerie des Festsaals zu bedienen, dessen Wände sich nach Belieben zurückdrehen lassen und dessen Decke man heben kann, bis man unter freiem Himmel ist. Die sinnreiche Maschinerie war seinerzeit als Überraschung für Lucia gedacht. Sie hat sie nicht nach Gebühr gewürdigt. Sie hat viele seiner Geschenke nicht nach Gebühr gewürdigt.
Begleitet nur von seinem Zwerg Silen, betritt der Kaiser den weiten, lichtglänzenden Saal. Seine Phantasie füllt ihn mit den Massen seiner Gäste. Lässig sitzt er da, er hat unwillkürlich die Haltung jener Mars-Statue angenommen, und er stellt sich vor, wie seine Gäste verteilt in den vielen Gemächern seines Palastes hocken und liegen und warten, voll von Angst und Spannung. Er läßt den Saal erweitern und verengen, spielerisch, läßt die Decke heben und wieder senken. Dann geht er eine Weile auf und nieder, läßt den größten Teil der Lichter wieder löschen, so daß nur noch einzelne Teile der Halle in schwachem Licht liegen. Und weiter geht er auf und ab in dem mächtigen Raum, und riesig begleitet ihn sein Schatten, und winzig begleitet ihn sein Zwerg.
Ob wohl Lucia in Alba ist?
Unvermittelt – er fühlt sich noch frisch und bereit zu neuer Arbeit – befiehlt er seinen Polizeiminister Norban vor sich.
Norban war schon zu Bett gegangen. Die meisten der Minister waren, wenn sie Domitian zu einer unerwarteten Stunde vor sich befahl, in Verlegenheit, wie sie erscheinen sollten. Auf der einen Seite wünschte der Kaiser nicht zu warten, auf der andern fühlte er seine Majestät beleidigt, wenn man sich anders als sehr sorgfältig angezogen vor ihm sehen ließ. Norban indes wußte sich seinem Herrn so
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