Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
Anfang der Vierzig, aber er hatte das Gesicht eines alten Mannes. Er erinnerte sich seiner toten Freunde, des Senecio, des Helvid, des Arulen; voll Trauer dachte er daran, wie oft er sie vergeblich zur Vernunft gemahnt hatte. Ja, darauf war es angekommen, Vernunft zu zeigen, Geduld zu zeigen, den Groll im Busen zu bewahren, bis die Zeit kam, ihn herauszulassen. Nun war die Zeit da. Die Epoche des Schreckens zu überleben, darauf war es angekommen. Er, Cornel, hatte sie überlebt.
Vernunft war gut, aber glücklich machte sie nicht. Glücklich war er nicht, der Senator Cornel. Er dachte an die Gesichter seiner Freunde, die in den Tod, die der Frauen, die in die Verbannung gegangen waren. Es waren grimmige Gesichter gewesen, aber dennoch die Gesichter solcher, die einverstanden waren. Sie waren Helden gewesen, er war nur ein Mann und ein Schriftsteller. Sie waren nur Helden gewesen, er war ein Mann und ein Schriftsteller.
Er war Historiker. Man mußte historisch werten. Für die Zeiten der Gründung des Reichs, für die Zeiten der Republik, waren Helden notwendig gewesen, für diese Jahrhunderte, für das Kaiserreich, bedurfte man vernünftiger Männer. Gründen können hatte man das Reich nur durch Heldentum. Gehalten werden konnte es nur durch Vernunft.
Aber gut war es dennoch, daß es diese Helvid und Senecio und Arulen gegeben hatte. Eine jede Zeit bedurfte der Helden, um das Heldentum wachzuhalten für jene Zeit, die ohne Heldentum nicht wird bestehen können. Und er war froh, daß er jetzt den aufgestauten Haß gegen den Tyrannen in Worte fassen durfte und das liebevolle, trauervolle Gedenken der Freunde. Er nahm vor die vielen Noten und Aufzeichnungen, die er sich gemacht hatte, und er ging daran, einleitend ein großes Bild der Epoche zu entwerfen, die sein Buch schildern sollte. In gewaltigen, dunkeln Sätzen, die sich türmten wie Felsblöcke, stellte er dar die Schrecken und Verbrechen des Palatin, und Worte, weit und hell wie der Himmel eines Frühsommertags, fand er für das Heldentum seiner Freunde.
D RITTES K APITEL
W ie Josef jetzt an diesem frischen Vorfrühlingstag mit Johann von Gischala durch dessen Maulbeerpflan
zungen ging, sah man keinem der beiden Männer ihr Alter an. Josefs siebzig Jahre hatten zwar seinen Bart ins Graue verfärbt und sein hageres Gesicht etwas zerknittert, aber jetzt im Wind zeigte es frische Farbe, und seine Augen schauten lebendig. Und wenn Johanns Knebelbart strahlend weiß war, so war doch auch sein braunes, schlaues Antlitz rot und wohlerhalten, und seine verschmitzten Augen schauten geradezu jung.
Josef war nun den dritten Tag Gast des Johann in Gischala. Johann wußte, daß Josef nicht viel Interesse an landwirtschaftlichen Dingen hatte, aber er konnte seinen bäuerlichen Stolz nicht zähmen, und wiewohl er sich über sich selber lustig machte, hetzte er auch diesmal wieder seinen Freund durch sein ausgedehntes Mustergut, und Josef mußte seine großartigen Ölpressen, seine Weinkeller, seine Tennen und vor allem seine Maulbeerplantagen und seine Seidenmanufaktur beschauen und bewundern.
Er tat das mechanisch, seine Gedanken waren anderswo, er genoß die Freude, wieder einmal in Galiläa zu sein.
Er saß nun seit fast zwölf Jahren in Judäa, fern von Rom, von dem neuen, ihm sehr fremden Rom des Soldatenkaisers Trajan. Nein, er vermißte es ganz und gar nicht, dieses militärische, ordentliche, großartig organisierte, sehr kalte Rom, es stieß ihn ab, er wußte mit der nüchternen, sachlichen, weltmännisch unbeteiligten Gesellschaft dieses Rom so wenig anzufangen wie sie mit ihm.
In Judäa allerdings war er auch nicht heimisch. Manchmal zwar versuchte er sich und seinen Freunden einzureden, er sei zufrieden in der Ruhe seines Gutes Be’er Simlai. Er sei nun lange genug, erklärte er, ein Einzelner gewesen, ein Besonderer; jetzt im Alter wünschte er nichts Besseres als unterzutauchen in der Gemeinschaft aller. Er wolle nichts sein als ein Mann in Judäa wie die andern Männer in Judäa. Allein wenn er’s auch ehrlich meinte, im Grunde fühlte er sich unbehaglich in dieser seiner Ruhe.
Die Besitzung Be’er Simlai, die er seinerzeit auf den Rat Johanns erworben hatte, blühte und gedieh. Aber ihn, Josef, brauchte man dort nicht, sein jetzt fünfundzwanzigjähriger Sohn Daniel hatte sich, unterwiesen von dem alten Theodor, zu einem fähigen und interessierten Landwirt entwickelt, Josefs Gegenwart störte
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