Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
wie es der römische Senat seit Gründung der Stadt noch nie geboten hatte. Voll von Enthusiasmus über die wiedergewonnene Macht, grimmigen Gedenkens voll an die erlittene Schmach, an die Sitzungen, da sie selber, die hier Versammelten, ihre Besten, ihre Häupter, zum Tod verurteilt hatten, riefen die Senatoren Handwerker und Leibeigene herbei, um die Ächtung seines Angedenkens sogleich und handgreiflich zu vollziehen. Ja sie halfen selber bei diesem Werke mit. Selber teilhaben wollten sie an der Beseitigung, an der Austilgung des frechen Despoten. Unbeholfen in ihren hohen Schuhen, in ihren prunkenden Gewändern, griffen sie zu Brecheisen, zu Äxten und zu Beilen, stiegen auf Leitern, hieben auf die Büsten und Medaillons des Verhaßten ein. Mit Wollust zur Erde schmetterten sie die Statuen mit dem hochmütigen Gesicht des Toten, sie zerstückten und verstümmelten seine steinernen und metallenen Glieder, unter irren Schreien, in der Vorhalle der Kurie errichteten sie eine Art Scheiterhaufen und warfen die scheußlich verunstalteten Bildwerke hinein.
Dann, nachdem sie auf diese Art aufgeräumt hatten mit der Despotie, der Herrschaft eines einzelnen, machten sie sich daran, sie zu ersetzen durch das Regime der Freiheit, nämlich durch die Herrschaft der sechzig mächtigsten Senatoren, und wählten den Nerva zum Kaiser.
Der alte Herr, ein sehr gebildeter Mann, ein großer Jurist, ein geübter Redner, wohlwollend, liberal, menschenfreundlich, hatte einen bewegten Tag, eine bewegte Nacht und nochmals einen bewegten halben Tag hinter sich. Er hatte die ganze letzte Zeit über in Sorge geschwebt, er werde trotz all seiner Vorsicht von Domitian beseitigt werden. Statt dessen hatte er jetzt, in seinem siebzigsten Jahr, nicht nur den fünfundvierzigjährigen Kaiser überlebt, sondern auch noch seinen Thron erobert. Nun aber, nach den Anstrengungen, Aufregungen, Umschwüngen dieser letzten anderthalb Tage, war er erschöpft, er durfte es sein, und die Freude, daß er jetzt nach Haus gehen konnte, baden, frühstücken, sich ins Bett legen, war beinahe ebenso groß wie die Freude über die erreichte Weltherrschaft.
Aber so bald sollte ihm die ersehnte Ruhe nicht vergönnt sein. Kaum war er in seinem Haus angelangt, als sich, an der Spitze eines großen Truppendetachements und in Begleitung des Marull und des Regin, Annius bei ihm einstellte. Annius war empört über seine eigene Geistesträgheit; durch diese Langsamkeit des Denkens hatte er die Adoptivsöhne seines verehrten Herrn und Gottes um die ihnen zukommende Weltherrschaft gebracht. Er wollte retten, was noch zu retten war. Er drang auf Nerva ein und erging sich in wüsten Drohreden, die Armee werde nicht dulden, daß man die Flavier, die Besieger Germaniens, Britanniens, Judäas und Daziens, um den Thron betrüge. Der neue Kaiser war ein Herr von ruhigen, vornehmen Manieren; die laute, grobe Sprache des Annius machte ihn recht nervös, auch hätte er auf das unsachliche Gerede von seinem juristischen Standpunkt aus allerhand zu erwidern gehabt. Doch er war sehr müde, er fühlte sich nicht in Form, auch hatte der andere dreißigtausend Soldaten und er nur fünfhundert Senatoren hinter sich. So zog er es vor, die Ungehörigkeit des groben Generals vorläufig auf sich beruhen zu lassen, wandte sich statt dessen höflich an die beiden andern, die er als umgängliche Männer kannte, und fragte sie liebenswürdig: »Und was wünschen Sie, meine Herren?«
Die beiden Herren, Realisten, die sie waren, wußten zwar,
daß die Garnison der Hauptstadt hinter ihnen stand, aber sehr zweifelhaft war ihnen, ob die Armeen der Provinzen den Flaviern treu bleiben würden. Andernteils hatte das anstößige Verhaken der Senatoren sie tief aufgerührt. Der Anblick dieser älteren Männer, wie sie da mit ihren hohen Schuhen und in ihren purpurverbrämten Kleidern mit schlotterigen Knien die Leitern erstiegen, um dem Bildnis des Mannes ins Gesicht zu schlagen, dessen Hand zu küssen sie sich vor drei Tagen noch gedrängt hatten, hatte den beiden das Innere vor Ekel umgekehrt. Sie wollten ihrerseits demonstrieren.
Der neue Kaiser, erklärten sie, sei Jurist. So möge er denn das Recht zur Geltung bringen denjenigen gegenüber, die den Domitian gemeuchelt hätten. Sie sprachen mit Nerva in urbanen Formen, sie betonten keineswegs, wie der grobe General, in jedem dritten Satz: hinter uns steht die Armee. Was sie verlangten, war nicht viel, es war ein einziges, die
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