Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
kunstvollste Tor unseres Festungsbaumeisters Frontin. Die römischen Herren wissen es nicht, Gouverneur Longin weiß es nicht, der Kaiser weiß es nicht. Aber ich, Phineas, ich weiß es, weil ich nämlich den Josephus und seine Juden hasse. Diese winzige, läppische Universität Jabne mit ihren einundsiebzig Doktoren ist das Zentrum der Provinz Judäa. Von hier aus werden die Juden regiert, nicht vom Gouvernementspalais in Cäsarea aus. Und wenn man unsern Paulus noch dreimal auf die Juden losläßt und wenn man hunderttausend von den ›Eiferern des Tages‹ erschlägt, das nützt gar nichts. Judäa lebt weiter, es lebt in der Universität Jabne.«
Dorion hatte gespannt zugehört. Ihr Mund, der frech, ein wenig breit aus dem zarten, hochfahrenden Gesicht vorsprang, stand beinahe töricht halb offen und ließ die kleinen Zähne sehen, ihre Augen hingen an den Lippen des Phineas: »Sie sind also überzeugt«, faßte sie zusammen, langsam, jedes Wort bedenkend, »das Zentrum des jüdischen Widerstands, die Seele des Judentums sozusagen, ist die Universität Jabne.« Die Dame Dorion war gebrechlich von Aussehen; nun sie aber dies erwog, sah ihr langer, gelbbrauner Kopf mit der schrägen, hohen Stirn, den betonten Jochbogen, der stumpfen, ein wenig breiten Nase und dem leicht geöffneten Mund hart aus, streitbar, ja gefährlich. »Und treffen und unschädlich machen«, resümierte sie weiter, »kann man das Judentum und den Josephus erst, wenn die Universität Jabne zerstört ist.« Phineas aber mit seiner tiefen, wohlklingenden Stimme bestätigte, und er bemühte sich, seine frohe und haßvolle Erregung hinter einem trockenen, gleichmütigen Ton zu verbergen: »Zerstört, vertilgt, vernichtet, zertreten, zerstampft, dem Erdboden gleichgemacht.«
»Ich danke Ihnen«, sagte Dorion.
Mit einemmal wurde die Universität Jabne, von der bisher in Rom wenige auch nur den Namen gekannt hatten, ein beliebter Gesprächsstoff, und heftig stritt man hin und her, ob wirklich die Unbotmäßigkeit der Provinz Judäa ihr Zentrum in Jabne habe.
Dunkel lief das Geraun von dem unausdenkbaren Übel, das da heranzog, durch die ganze Judenheit. Was da Rom zu planen schien, das war schlimmer als das, was die Ängstlichsten unter ihnen sich ausgedacht hatten, es war unter allen vorstellbaren Schrecknissen das schrecklichste. Bisher hatten die Feinde die Leiber der Juden angegriffen, ihre Erde, ihr Hab und Gut, ihren Staat. Sie hatten das Reich Israel zerstört, sie hatten das Reich Juda zerstört und den Tempel Salomos, Vespasian hatte das zweite Reich zerstört und Titus den Tempel der Makkabäer und des Herodes. Was dieser dritte Flavier plante, das ging tiefer, das ging gegen die Seele der Judenheit, gegen das Buch, gegen die Lehre. Denn die Doktoren waren die Träger und Hüter der Lehre. Nur das Kollegium von Jabne verhütete, daß sie sich verflüchtigte, daß sie zurückverschwand in den Himmel, aus dem sie gekommen war. Die Lehre, das war der innere Zusammenhalt, und mit dem Kollegium von Jabne war diese Lehre, war das Herz und der Sinn der Judenheit bedroht.
Immer aber bis jetzt hatten sich große und kluge Männer gefunden, welche die Lehre gerettet hatten. Und so richteten sich auch jetzt aller Augen auf den Mann, der dem Kollegium und der Universität von Jabne vorstand, auf Gamaliel, auf den Großdoktor.
Der Großdoktor war der Gesandte Jahves auf Erden, das Haupt der Juden nicht nur der Provinz Judäa, sondern der ganzen Welt. Seine Aufgabe war schwer und vielfältig. Er hatte sein Volk und die Lehre vor den Römern zu vertreten, er hatte die auseinanderstrebenden Meinungen seiner Doktoren in eines zu zwingen, er hatte, ohne äußere Machtmittel, die Autorität des jüdischen Gesetzes den Massen gegenüber zu wahren. Seine Stellung erforderte Energie, Takt, rasche Entschlüsse.
Gamaliel, zum Herrschen geboren und erzogen, hatte seine ererbte Würde, die des ungekrönten Königs von Israel, in sehr jungen Jahren übernommen; er zählte jetzt knapp vierzig. Er hatte sich bewährt im Kampf gegen die Gouverneure Silva, Salviden, Longin. Er hatte die Lehre durchgesteuert zwischen jenen, die sie aufgehen lassen wollten in der Weisheit der Griechen, und jenen, die sie einmünden lassen wollten in einen weltbürgerlichen Messianismus. Mit klugen, scharfen Schnitten hatte er das Gesetz abgetrennt von der Ideologie der Hellenisten einerseits, der Minäer anderseits. Er hatte das Ziel erreicht, das dem alten
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