Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
und die Hand. Er aber, der Josef, war stark nur in der Betrachtung, sein Amt war es, die Geschichte seines Volkes vor sich hinzustellen und ihr Sinn zu geben; sowie er indes selber handelnd eingriff, war er ein Stümper und Pfuscher.
Was er, Josef, denkt, spricht, schreibt, das wird vielleicht in späten Zeiten den oder jenen die Ereignisse von heute so sehen lassen, wie er, Josef, sie gesehen haben will, es wird vielleicht die Handlungen sehr später Nachfahren bestimmen. Was hingegen dieser Gamaliel spricht und denkt, das verwandelt sich sogleich in Geschichte, das setzt sich heute und morgen um in die Geschicke der Menschen. Es riß den Josef, es zog ihn. Die Mauern, in die er sich so kunstvoll eingesperrt hatte, um seinen Frieden zu wahren, stürzten zusammen. Er versprach dem Großdoktor, was der von ihm verlangte.
Als sich Josef bei Lucia ansagte, beschied sie ihn schon zum nächsten Tag.
Sie musterte ihn mit unverhohlenem Interesse. »Es sind wohl zwei Jahre«, sagte sie, »daß wir uns nicht gesehen haben; aber wenn ich Sie jetzt anschaue, ist mir, als wären es fünf. Bin ich so anders geworden während meiner Verbannung oder Sie? Ich bin enttäuscht, mein Josephus«, sagte sie freimütig. »Sie sind gealtert. Und verrucht schauen Sie auch nicht mehr aus.« Ein Lächeln ging über Josefs gekerbtes Gesicht; sie erinnerte sich also noch des Ausrufs, der ihr damals beim Anblick seiner entstehenden Büste entfahren war: »Sie sind ja ein Verruchter!« – »Was treiben Sie?« fuhr Lucia fort. »Man hat lange nichts mehr von Ihnen gehört. Sie kommen mir beschattet vor«, und sie betrachtete ihn mit Anteilnahme. »Was man Ihren Juden tut, ist ja wohl auch niederträchtig. Diese ekelhaften, kleinlichen Quälereien. Wenn meine Kusine Faustina schlecht geschlafen hat, dann pikt sie die Zofe, die sie frisiert, mit einer Nadel in den Arm oder in den Rücken. Das mag Faustina tun, aber so kann nicht das römische Reich eine ganze Nation behandeln. Wie immer, es tut mir leid, daß Sie niedergedrückt sind. Auch ich habe manches Böse erlebt in diesen letzten Jahren. Ich bereue es nicht, und ich möchte es nicht missen. Das Leben wäre zu grau ohne den Wechsel von Gut und Böse.«
Ein wenig kränkte es den Josef, daß ihn Lucia so verändert fand. Jene erste Unterredung kam ihm in den Sinn, die er mit einer großen römischen Dame gehabt hatte, die Unterredung mit Poppäa, der Frau des Nero. Wie war damals sein ganzes Wesen Sammlung gewesen, Eifer für den Sieg, Zuversicht auf den Sieg. Es wurde etwas in ihm wach von jenem Josephus, er spannte sich schärfer an. »Das glaub ich Ihnen, Herrin Lucia«, sagte er belebt, »daß Sie ja sagen zum Bösen wie zum Guten«, und er schaute ihr mit unverlegener Aufmerksamkeit ins Gesicht, mit der gleichen huldigenden Frechheit wie damals der Poppäa.
Lucia lachte ihr volles, starkes Lachen. »Sagen Sie mir, bitte«, forderte sie ihn auf, »warum eigentlich Sie mich sehen wollten. Denn Sie sind doch nicht einfach gekommen, um mir Ihre Aufwartung zu machen. Wie Sie mich zwar gerade angeschaut haben, das war reichlich unverschämt, es war da in Ihrem Blick ein wenig von der Verruchtheit des Josephus jener Büste, und man hätte beinahe denken können, Sie seien wirklich nur aus Neugierde hier, um zu sehen, wie mir meine Verbannung bekommen ist. Ich habe mir übrigens jüngst im Friedenstempel Ihre Büste wieder angeschaut, sie ist großartig; ein Bild gibt sie dennoch nicht, weil die Augen fehlen. Sie hätten sich damals nicht sträuben sollen, als Kritias sie Ihnen einsetzen wollte. Aber jetzt sagen Sie geschwind, wie finden Sie meine neue Haartracht? Es wird Geschrei geben.« Sie hatte ihr Haar in mehreren Lockenreihen hintereinander geordnet, verzichtend auf den turmartigen Aufbau, den die Mode vorschrieb.
Das Regsame, Lebendige, das von dieser Frau ausging, frischte den Josef auf. Ja, sie stand über dem Schicksal, weder Gutes noch Böses konnte an sie heran, sie strotzte von Leben, ihre Verbannung hatte sie nur lebendiger gemacht.
»Sie haben recht, Herrin Lucia«, sagte er. »Es ist wirklich das Unglück meiner Juden, das mich bedrückt, und ich bin gekommen, Ihre Gunst für sie zu erbitten. Wir haben viel hinnehmen müssen in diesem letzten Jahrzehnt. Wir sind gewohnt, viel hinzunehmen; wir betrachten es als eine Auszeichnung, daß uns unser Gott so hart prüft. Wir haben eine tiefe, große Dichtung, handelnd von einem Manne namens Hiob, den Gott
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