Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
und einer nach dem andern traten die Träger dieser Namen ins innere Gemach. Gierig spähten die Außenstehenden, wie der Kaiser jeden einzelnen begrüßte. Den meisten streckte er nur die Hand zum Kuß hin, nur wenige würdigte er der Umarmung, die der Brauch vorschrieb. Es war verständlich, daß er nicht Tag für Tag eine Reihe von Menschen küssen wollte, die ihm zuwider waren, ganz abgesehen von der Gefahr der Anstekkung. Allein kein Kaiser vor ihm hatte es so offen gezeigt, als eine wie peinliche Aufgabe er diese Begrüßung empfand, es erregte böses Blut, daß gerade Domitian, der Hüter der Bräuche, sich diesem guten Brauch mehr und mehr entzog, und viele waren gekränkt.
Schon nach kurzer Weile ließ der Kaiser eine Pause eintreten. Ohne Rücksicht auf die Menge seiner Gäste gähnte er, rekelte sich, schickte langsam verdrossene Blicke über die Versammelten, winkte den Crispin herbei, überflog die Listen. Dann, plötzlich, belebte er sich. Klatschte seinen Zwerg Silen heran, flüsterte mit ihm. Der Zwerg watschelte in den Vorraum, alle Blicke folgten ihm; sein Weg ging zu Josef. In das lautlose Schweigen hinein, tief sich neigend, sagte der Zwerg: »Der Herr und Gott Domitian befiehlt Sie an sein Bett, mein Ritter Flavius Josephus.«
Josef, vor den Augen der ganzen Versammlung, begab sich in den Innenraum. Der Kaiser hieß ihn sich auf sein Bett setzen, das war eine hohe Auszeichnung, deren heute kein anderer gewürdigt worden war. Er umarmte und küßte ihn, nicht widerwillig, sondern langsam und ernst, wie es die Sitte gebot.
Während aber seine Wange an die Wange des Josef geschmiegt war, flüsterte er: »Bist du der Sproß des David, mein Josephus?« Und Josef erwiderte: »Du sagst es, Kaiser Domitian.«
Der Kaiser löste sich aus der Umarmung. »Sie sind ein mutiger Mann, Flavius Josephus«, sagte er. Dann geleitete der Zwerg Silen, der alles mit angehört hatte, den Josef zurück in den Vorraum. Diesmal neigte er sich noch tiefer und sagte: »Leben Sie wohl, Flavius Josephus, Sproß des David!« Der Kaiser aber ließ die Türen des Schlafgemachs schließen, der Empfang war zu Ende.
Wieder wenige Tage später wurde im Amtlichen Tagesbericht folgendes verkündet. Der Kaiser habe das Geschichtswerk geprüft, an welchem der Schriftsteller Flavius Josephus jetzt arbeite. Es habe sich ergeben, daß dieses Buch dem Wohl des Römischen Reiches nicht förderlich sei. Es habe somit der genannte Flavius Josephus nicht die Hoffnungen erfüllt, die sich an sein erstes Werk, das über den jüdischen Krieg, geknüpft hätten. Der Herr und Gott Domitian habe deshalb angeordnet, die Büste dieses Schriftstellers Flavius Josephus aus dem Ehrensaal des Friedenstempels zu entfernen.
Jene Büste, welche den Kopf des Josef darstellte, schräg über die Schulter gewandt, hager, kühn, wurde also aus dem Friedenstempel entfernt. Sie wurde dem Bildhauer Basil übergeben, damit er ihr kostbares Metall – korinthisches Erz, eine einmalige Mischung, entstanden bei der Einäscherung der Stadt Korinth aus dem ineinanderfließenden Metall verschiedener Statuen – verwende für eine Büste des Senators Messalin, mit deren Modellierung ihn der Kaiser beauftragt hatte.
D RITTES K APITEL
» Haben Sie sich versprochen, oder habe ich mich verhört?« fragte Regin den Marull und wandte den fleischigen Kopf
so jäh herum, daß ihn der leibeigene Friseur bei aller Geschicklichkeit beinahe geschnitten hätte. »Nicht das eine noch das andere«, erwiderte Marull. »Die Anklage gegen die Vestalin Cornelia wird erhoben werden, das steht fest. Der Kurier gestern aus Pola hat die Anweisung mitgebracht. Es muß DDD viel an der Sache liegen. Sonst hätte er den Befehl nicht von der Reise aus gegeben, sondern gewartet, bis er zurück ist.« Regin brummelte etwas, die schweren, schläfrigen Augen unter der vorgebauten Stirn schauten noch nachdenklicher als sonst, und noch ehe der Friseur mit seiner Arbeit recht zu Ende war, winkte er ihm ungeduldig, sich zu entfernen.
Dann aber, allein mit dem Freund, sagte er nichts. Er begnügte sich, langsam den Kopf zu schütteln und die Achseln zu zucken. Er brauchte auch nichts zu sagen, Marull verstand ihn ohne Worte, für ihn war das Ereignis genauso unglaubhaft. Hatte DDD nicht genug an dem Sturm von damals, als er von den sechs Vestalinnen jene beiden andern prozessierte, die Schwestern Oculatae? Und war die Stimmung nicht ohnedies flau genug jetzt, nach
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