Joshua Fantasio & Kalitos Legende und der schwarze Zeitmesser (German Edition)
gern noch ein wenig weiterschlafen. Wir Wandeulen brauchen viel Schlaf. Gute Nacht, kleiner Knabe.“
„Gute Nacht, und vielen Dank“, sagte Joshua .
Er nahm sich den Vorschlag der Eule zu Herzen und machte sich auf den Weg zur Bildergalerie. Vielleicht würde er dort ja tatsächlich ein wenig Trost finden. Die Galerie befand sich im östlichen Teil der Schule; er musste also ein kleines Stückchen laufen, aber das machte ihm nichts aus, denn schlafen konnte er im Moment sowieso nicht.
Sein Weg führte durch die schummrig beleuchteten K orridore und Gänge, welche am Abend noch ein wenig düsterer waren. Die Dunkelheit machte ihm mittlerweile aber nicht mehr so viel aus, denn er hatte sich inzwischen an die häufige Düsternis gewöhnt, und außerdem hatte ihn die Übernachtung im Düsterwald irgendwie auch ein wenig abgehärtet.
Nur mit einer kleinen Kerze bewaffnet, tapste er durch das riesige Schloss. Die Flure waren alle leer . Es war still, nur der Wind heulte gelegentlich. Selbst die Feenwesen befanden sich schon in ihren Bettchen, als er über den Hof und am großen Feenbaum vorbeischritt.
Schließlich gelangte er zum Ostflügel und zur Bildergalerie. Die ersten Bilder waren allesamt Portraits von jungen Zauberlehrlingen, die es sich während ihrer Schulzeit durch erworbene Auszeichnungen irgendwie verdient gemacht hatten, sich hier in der Galerie mit einem Foto verewigen zu dürfen. Einige von ihnen trugen Medaillen um den Hals und andere stemmten sogar einen ganzen Pokal in die Höhe.
Langsam ging Joshua an den alten Fotos vorbei. An einigen Stellen hingen auch etwas größere, in goldene Rahmen eingefasste Porträts. Sie zeigten meist ältere Zauberinnen und Zauberer, aber auch berühmt gewordene Halblinge oder Zwerge. Ein Bildnis wurde einem Jäger gewidmet, der mit hoch erhobenem Zauberstab und einem Fuß auf seiner erlegten Beute – eine Art Rieseneber, welcher beinahe die Größe eines Nilpferdes hatte – stolz posierte. Er musste zu Zeiten vor der Wahanubusschule gelebt haben, als das Schloss noch als Jagdresidenz genutzt wurde.
Nach einiger Zeit erreichte Jos hua einen Raum mit hohen Wänden, an dessen Decke ein eingestaubter Kerzenleuchter hing. Der schwach beleuchtete Raum war von oben bis unten mit Fotografien und Malereien der guten alten Erde behangen. Die Bilder schienen jedoch schon sehr alt zu sein, was nicht nur an den morschen Rahmen und der rissig gewordenen Farbe zu erkennen war, sondern vor allem, weil die Bilder die Erde zeigten wie sie vor ungefähr einhundert bis dreihundert Jahren ausgesehen hatte. Viele Erdenbilder zeigten Städte mit alten Fachwerkhäusern oder Häfen mit dutzenden von Segelschiffen und prunkvollen Dreimastern; auf den Landschaftsbildern waren oftmals Ackergäule, Schafshirten und Rehe zu sehen.
Die Bilder erinnerten Joshua nur vage an die Erde. Die Erde zweihundert Jahre später sa h doch ein wenig anders aus, aber selbst wenn die Bilder die Erde in der Jetztzeit gezeigt hätten, wäre sich Joshua nicht sicher gewesen, ob ihm dadurch die Last des Heimwehs oder zumindest ein Teil von ihr genommen worden wäre.
Als er jedoch die Gemälde eine längere Zeit betrachtete, spürte er plötzlich wie das Heimweh langsam abklang. Joshua wusste selbst nicht so richtig warum; entweder halfen ihm die alten Bilder tatsächlich dabei oder aber es war der reine Gedanke an die vielen Kinder, die vor ihm schon hier gewesen waren, um ihr Heimweh zu bekämpfen, denn geteiltes Leid war ja bekanntlich nur halbes Leid.
Plötzlich vernahm Joshua d as leise Geräusch von Schritten! Wie im Affekt pustete er seine Kerze aus. Sofort schoss ihm wieder der Homunkulus in den Kopf. Im zweiten Moment dachte er, dass der es eigentlich gar nicht sein konnte, es sei denn er hatte gewaltig an Gewicht zugelegt, denn die Schritte stammten zweifellos von einer schwereren Person. Wahrscheinlich war es doch nur einer der Lehrer, die rund um die Uhr die Schule bewachten, dachte sich Joshua.
„ Hoffentlich gibt das keinen Ärger “, dachte er, da zu dieser Zeit ja eigentlich Bettruhe herrschte.
Plötzlich verstummten die Schritte, dann waren sie wieder da , und zwei Sekunden später war es erneut still. Die Schritte schlurften leicht. Kurz darauf konnte Joshua ein blasses Licht auf dem Flur erkennen, und es wurde langsam, aber stetig heller. Irgendetwas oder irgendjemand kam gemächlich den Gang entlang und hielt dabei immer wieder an. Vermutlich betrachtete er, sie oder es die Bilder an
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