Joyland
»Wahrsagerei ist doch nichts als Schwindel, liebe Buben und Mädels. Nehmt das mit dem Käppi zum Beispiel. Joyland-Dogtops gibt es nur in drei Farben – rot, blau oder gelb. Rot ist ganz offensichtlich am beliebtesten. Und die Puppe? Also bitte! Wie viele Kinder nehmen irgendein Plüschtier mit in den Park? An einem fremden Ort brauchen sie halt etwas, woran sie sich festhalten können. Wenn die Kleine nicht direkt unter deiner Nase am Ersticken gewesen wäre, wenn sie Howie nur umarmt hätte und dann weitergegangen wäre, dann hättest du irgendein anderes kleines Mädchen mit einem roten Hundekäppi und einer Puppe gesehen und gesagt: ›Aha, Madame Fortuna kann tatsächlich in die Zukunft schauen, also gebe ich ihr lieber ein paar Taler, damit sie mir noch mehr erzählt.‹«
»Was bist du doch für ein Zyniker«, sagte Erin und stieß ihn mit dem Ellbogen an. »Rozzie Gold würde von einem Kollegen niemals Geld nehmen.«
»Sie wollte auch kein Geld«, sagte ich, wobei ich mir eingestehen musste, dass Tom schon irgendwie recht hatte. Zwar hatte sie (dem Anschein nach jedenfalls) gewusst, dass mein dunkelhaariges Mädchen der Vergangenheit angehörte, aber das konnte auch eine Vermutung gewesen sein, die auf Wahrscheinlichkeit beruhte – oder auf meinem Gesichtsausdruck, als ich sie fragte.
»Natürlich nicht.« Tom nahm sich noch einen Marshmallow. »Sie hat nur ein bisschen geübt. Um in Form zu bleiben. Wetten, dass sie anderen Grünschnäbeln auch einen Haufen Zeug erzählt hat?«
»Dir vielleicht?«, fragte ich.
»Nein … aber das hat nichts zu bedeuten.«
Ich sah Erin an, aber sie schüttelte den Kopf.
»Sie glaubt auch, dass es im Horror House spukt«, sagte ich.
»Das habe ich auch gehört«, sagte Erin. »Da soll ein Mädchen ermordet worden sein.«
»So ein Quatsch!«, rief Tom. »Als Nächstes erzählt ihr mir, dass ein Kerl mit einer Hakenhand sie umgebracht hat und sich immer noch hinter dem Schreienden Schädel versteckt hält.«
»Das mit dem Mord stimmt wirklich«, sagte ich. »Das Opfer war eine junge Frau namens Linda Gray aus Florence in South Carolina. Es gibt Bilder von ihr und dem Kerl, der sie umgebracht hat, am Schießstand und vor den Whirly Cups. Einen Haken hatte er keinen, aber dafür eine Vogeltätowierung auf der Hand. Einen Falken oder einen Adler.«
Das ließ Tom verstummen, zumindest vorübergehend.
»Lane Hardy hat erzählt, dass Roz nur glaubt, im Horror House würde es spuken, weil sie sich nicht reintraut. Wenn sie es vermeiden kann, geht sie nicht mal in die Nähe der Geisterbahn. Lane findet das paradox, denn er behauptet, da drin würde es wirklich spuken.«
Erin riss die Augen auf und rutschte etwas näher ans Feuer heran. Natürlich tat sie nur so, als hätte sie Angst – in Wirklichkeit wollte sie wohl, dass Tom den Arm um sie legte. »Hat er das denn selbst gesehen …?«
»Keine Ahnung. Er hat gesagt, ich soll Mrs. Shoplaw fragen, und von ihr weiß ich das alles.« Ich erzählte ihnen die ganze Geschichte. Sie passte wunderbar zu diesem Abend unter den Sternen, zum Meeresrauschen und dem Lagerfeuer, das langsam herabbrannte. Sogar Tom schien fasziniert zu sein.
»Behauptet sie denn, dass sie Linda Gray gesehen hat?«, fragte Tom, nachdem ich am Ende angekommen war. »Die Shoplaw?«
Ich ging noch einmal in Gedanken durch, was sie mir an dem Tag erzählt hatte, als ich das Zimmer im ersten Stock angemietet hatte. »Nein, ich glaube nicht. Das hätte sie gesagt.«
Er nickte zufrieden. »Daran lässt sich gut nachvollziehen, wie so was funktioniert. Jeder kennt irgendwen, der ein Ufo gesehen hat. Jeder kennt irgendwen, der ein Gespenst gesehen hat. Alles nur Gerüchte, die kein Gericht anerkennen würde. Ich spiele da den ungläubigen Thomas. Kapiert? Tom Kennedy – ungläubiger Thomas?«
Erin stieß ihm abermals den Ellbogen in die Rippen, dieses Mal deutlich fester. »Ja, wir haben's begriffen.« Nachdenklich blickte sie ins Feuer. »Wisst ihr was? Der Sommer ist schon zu zwei Dritteln rum, und ich war nicht ein einziges Mal in der Geisterbahn, nicht mal vorn im Bereich für die Kleinen. Da drin darf nicht fotografiert werden. Weil da so viele Pärchen rumknutschen, wie uns Brenda Rafferty erklärt hat.« Sie sah mich prüfend an. »Was gibt's da zu grinsen?«
»Nichts.« Ich musste nur daran denken, dass Lady Shoplaws verstorbener Mann nach dem Spätportal im Horror House immer rumliegende Schlüpfer gefunden hatte.
»War einer von euch mal da
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