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Joyland

Titel: Joyland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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antwortete mit leiser Stimme. »Meine Mama schläft. Sie hat gesagt, sie ist müde.«
    »Das glaube ich gern«, sagte ich und musste daran denken, wie wir gemeinsam über sie hergefallen waren.
    »Ich weiß, dass das nicht nett war«, sagte Mike, als hätte ich den Gedanken laut ausgesprochen. »Aber was ist uns anderes übrig geblieben?«
    »Mike … kannst du Gedanken lesen? Liest du gerade meine Gedanken?«
    »Das weiß ich nicht so genau. Manchmal höre oder sehe ich Dinge, das ist alles. Und manchmal fällt mir eben was ein. Wie zum Beispiel, in Opas Haus zu wohnen. Mama hat gesagt, das würde er uns nie erlauben, aber ich wusste es besser. Was auch immer ich da habe, kommt glaube ich von ihm. Er heilt doch auch Leute. Das heißt, manchmal tut er nur so, aber manchmal heilt er sie wirklich.«
    »Warum hast du angerufen, Mike?«
    Er klang ganz aufgeregt. »Wegen Joyland! Können wir wirklich mit dem Karussell und dem Riesenrad fahren?«
    »Ich glaube schon.«
    »Und an der Schießbude schießen?«
    »Vielleicht. Wenn deine Mutter nichts dagegen hat. Überhaupt hängt alles ganz von der Zustimmung deiner Mutter ab. Das bedeutet …«
    »Ich weiß, was es bedeutet.« Er klang jetzt eher ungeduldig. Dann gewann wieder seine kindliche Aufregung die Oberhand. »Das ist wirklich spitze!«
    »Aber kein Autoskooter und keine Achterbahn«, sagte ich. »Sind wir uns da einig? Erstens sind die schon winterfest gemacht.« Das Carolina Spin zwar auch, aber mit Lane Hardys Hilfe würde es keine Dreiviertelstunde dauern, es wieder fahrbereit zu bekommen. »Und zweitens …«
    »Ja, ja, mein Herz. Ich wär schon mit dem Riesenrad zufrieden, das man von unserem Plankenweg aus sehen kann. Da oben kommt es einem bestimmt so vor, als würde man die Welt von meinem Drachen aus sehen.«
    Ich lächelte. »Ja, irgendwie schon. Aber wir machen das wirklich nur, wenn deine Mama es erlaubt. Sie ist der Boss.«
    »Wir gehen ja eigentlich nur wegen ihr. Das begreift sie aber erst, wenn wir da sind.« Er sagte das so, als wüsste er es mit allergrößter Sicherheit, was ein wenig unheimlich war. »Und wegen Ihnen, Devin. Aber vor allem wegen dem Mädchen. Sie ist schon zu lange dort. Sie möchte fortgehen.«
    Mir klappte die Kinnlade herunter, aber es bestand keine Gefahr, dass ich sabberte; mein Mund war plötzlich staubtrocken. »Woher …«, krächzte ich und schluckte dann. »Woher weißt du das?«
    »Keine Ahnung, aber ich glaube, dass ich wegen ihr hier bin. Hab ich Ihnen nicht schon gesagt, dass es nicht weiß ist?«
    »Doch, das hast du, aber du hast auch gesagt, du wüsstest nicht, was das bedeutet. Weißt du es jetzt?«
    »Nein.« Er fing an zu husten. Ich wartete. Als er wieder ruhig atmen konnte, sagte er: »Ich muss jetzt auflegen. Meine Mama ist wach geworden und steht auf. Jetzt liest sie wieder die halbe Nacht.«
    »Ehrlich?«
    »Echt. Hoffentlich lässt sie mich mit dem Riesenrad fahren.«
    »Es heißt Carolina Spin, aber die Leute, die dort arbeiten, nennen es einfach nur Schlepper.« Manche – zu denen auch Eddie gehörte – nannten es Idiotenschlepper, aber das erzählte ich ihm nicht. »Die Leute in Joyland haben eine Geheimsprache. Das gehört einfach dazu.«
    »Schlepper. Das merk ich mir. Tschüs, Devin.«
    Ich hörte ein Klicken in der Leitung.
    *
    Diesmal war es Fred Dean, der den Herzinfarkt hatte.
    Er lag mit verzerrtem, blauem Gesicht auf der Rampe, die zum Carolina Spin hinaufführte. Ich kniete mich neben ihn und begann mit der Herzdruckmassage. Als das nichts nützte, beugte ich mich vor, hielt ihm die Nase zu und drückte ihm den Mund auf die Lippen. Etwas kitzelte mich an der Zunge und an den Zähnen. Ich fuhr hoch und sah einen schwarzen Strom winziger Spinnen aus seinem Mund krabbeln.
    Als ich aufwachte, lag ich halb auf dem Boden, die Decke hatte sich wie ein Totenhemd um mich gewickelt, mein Herz raste, und ich hatte mir die Finger in den Mund gesteckt. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich begriff, dass da nichts war. Trotzdem stand ich auf, ging ins Bad und trank zwei Gläser Wasser. Gut möglich, dass ich schon schlechter geträumt hatte als an jenem Dienstagmorgen, kurz bevor ich um drei Uhr aufwachte, aber wenn, dann kann ich mich nicht mehr daran erinnern. Ich machte das Bett und legte mich wieder hin, fest davon überzeugt, dass ich in dieser Nacht keinen Schlaf mehr finden würde. Dennoch war ich fast wieder eingedöst, als mir einfiel, dass der große emotionale Auftritt, den wir drei gestern im

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