Joyland
der Redneck-Riviera.«
»Das war wirklich die richtige Entscheidung«, sagte Tom. »Als du uns erklärt hast, du würdest nicht zurück an die Uni gehen, hätte ich das ja nie gedacht, aber es war die richtige Entscheidung. Vielleicht hätte ich in Joyland bleiben sollen.«
Er lächelte – sein Ich-hab-den-Blarney-Stein-geknutscht-Lächeln, mit dem er Vögel von den Bäumen locken konnte –, aber es vertrieb den Schatten, der kurz auf sein Gesicht fiel, nicht ganz. Er hätte nie und nimmer in Joyland bleiben können, nicht nach unserer Fahrt mit der Geisterbahn.
Übers Wochenende wohnten Erin und Tom in Mrs. Shoplaws Strandquartier (Mrs. S. freute sich, sie bei sich aufzunehmen, und Tina Ackerley freute sich, sie zu sehen). Am Abend saßen wir um ein prasselndes Lagerfeuer am Strand beisammen, tranken viel und lachten noch mehr. Aber am Sonntagnachmittag, als Erin mir erzählen wollte, was sie so sehr beunruhige, erklärte Tom, er würde Tina und Mrs. S. mal zeigen, wie man richtig Scrabble spiele, und ließ uns allein losziehen. Ich hätte Erin gern Annie und Mike vorgestellt, aber es war ein kühler Tag, und vom Meer her wehte ein äußerst frischer Wind – der Picknicktisch am Ende des Plankenwegs lag verlassen da. Sogar der Sonnenschirm war fort; wahrscheinlich für den Winter eingemottet.
In Joyland waren, von der kleinen Flotte Lieferwagen abgesehen, alle vier Parkplätze leer. Als ich meinen Schlüsselbund hervorholte und mit dem größten Schlüssel das Tor aufschloss, zog Erin, die einen dicken Rollkragenpullover und Wollhosen anhatte und einen sehr geschäftsmäßigen Aktenkoffer mit ihren Initialen in der Hand hielt, eine Augenbraue hoch.
»Also gehörst du jetzt zu ihnen«, sagte sie.
Mir war das unangenehm – ist es uns nicht allen peinlich (selbst wenn wir nicht wissen, warum), wenn jemand behauptet, wir würden zu ihnen gehören?
»Nicht so richtig. Ich hab einen Torschlüssel, falls ich als Erster hier bin oder als Letzter gehe. Nur Fred und Lane haben alle Schlüssel zum Königreich.«
Sie lachte, als hätte ich etwas Albernes gesagt. »Der Schlüssel zum Tor ist der Schlüssel zum Königreich, wenn du mich fragst.« Dann wurde sie ernst und musterte mich eingehend. »Du siehst älter aus, Devin. Das dachte ich schon, bevor wir ausgestiegen sind, als wir dich vom Zug aus gesehen haben. Jetzt weiß ich auch, warum. Du bist arbeiten gegangen, während wir ins Nimmerland zurückgekehrt sind und mit den verlorenen Jungs und Mädchen gespielt haben. Mit denen, die irgendwann einmal Brooks-Brothers-Anzüge tragen und ihr BWL-Diplom in der Tasche haben.«
Ich deutete auf die Aktentasche. »Die passt ja schon mal zu den Anzügen, aber gibt's denn bei Brooks Brothers überhaupt welche für Frauen?«
Sie seufzte. »Die ist ein Geschenk von meinen Eltern. Mein Vater möchte, dass ich Anwalt werde, wie er. Bisher hab ich mich noch nicht getraut, ihm zu sagen, dass ich freischaffende Fotografin werden will. Der kriegt einen Tobsuchtsanfall.«
Schweigend gingen wir die Joyland Avenue entlang – nur das gespenstische Rauschen des Herbstlaubs war zu hören. Erin betrachtete die abgedeckten Fahrgeschäfte, den trockenen Springbrunnen, die erstarrten Pferde des Karussells, die leere Märchenbühne im verlassen daliegenden Wiggle-Waggle Village.
»Irgendwie traurig, das alles so zu sehen. Erinnert einen daran, dass man sterblich ist.« Sie sah mich nachdenklich an. »Wir haben den Zeitungsartikel gelesen. Mrs. Shoplaw hat ihn uns ins Zimmer gelegt. Du hast es schon wieder getan.«
»Eddie? Da war ich nur zufällig in der Nähe.« Wir waren bei Madame Fortunas Bude angekommen. Die Gartenstühle lehnten immer noch dagegen. Ich klappte zwei davon auf und bedeutete Erin, sich hinzusetzen. Dann setzte ich mich neben sie und zog eine Flasche Old Log Cabin aus der Jackentasche. »Billiger Whiskey, aber er hilft gegen die Kälte.«
Mit belustigter Miene nahm sie einen Schluck. Ich tat es ihr nach, drehte den Deckel zu und ließ die Flasche wieder verschwinden. Zwanzig Meter die Joyland Avenue hinunter – unsere Hauptstraße – erhob sich die Fassade vom Horror House mit den triefenden grünen Buchstaben: TRITT EIN – WENN DU ES WAGST.
Sie packte mich mit ihrer kleinen Hand überraschend kraftvoll an der Schulter. »Du hast den alten Lumpenhund gerettet. Mensch, darauf kannst du dir schon was zugutehalten!«
Ich lächelte und musste daran denken, was Lane über meine Pfadfinderbescheidenheit gesagt
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