Jud Sueß
Zusammenkünfte mit Naemi unterrichtet war, hörte ihn eine Weile schweigend an, doch nicht ironisch wie sonst wohl, sondern eher nachdenklich, so daß jener schon zu hoffen begann und seinen Eifer verstärkte, wodurch ihm, infolge der heftigeren Armbewegungen, die Katze entlief. Während er, ohne seine eifernde Rede zu unterbrechen, des Tieres wieder habhaft zu werden suchte, schien der Finanzdirektor zu einem Entschluß gekommen, er winkte unversehens, doch milde, dem Magister ab, sprach von anderem. Ohne Mühe machte er den jungen Menschen zutraulich, lockerte ihn auf. So bekam er bald etliches von den privaten Umständen und Wünschen des Magisters zu hören, auch von der unbilligerweise verweigerten Bibliothekarstelle.
Er zeigte sich zur Verwunderung Schobers durchaus nicht als der wütige Holofernes, als welcher er allenthalben verschrien war. Geduldig ließ er den weit Ausholenden zu Ende reden, bekundete Interesse für seine Verse, sicherte, nachdem Weißensee sich für die Poemata ausgesprochen habe, dem Beglückten die Drucklegung mit aller Bestimmtheit zu. Die Bibliothekarstelle, schloß er, sei zwar definitiv vergeben, aber vielleicht gebe es dafür Ausweg und Ersatz. Schon andern Tages ließ er Schober wiederkommen und schlug ihm vor, als Sekretär in seine Dienste zu treten; not sei dabei Redlichkeit und Rhetorik, was beides ja der Magister in illustrem Gradebesitze. Jaakob Polykarp Schober sah sich so auf eine herrliche, gottgefügte Art in die Hauptstadt und den Dunstkreis der Schwester Magdalen Sibylle kommen, sah sich in der Stuttgarter Brüdergemeinde, bei der heiligen Beata Sturmin, dem guten, freundhaften Immanuel Rieger. Er sah die Möglichkeit, dringlich und fromm dem Juden, ja vielleicht dem verirrten Herzog zuzusprechen; er hörte alle Engel im Himmel singen und sagte strahlend ja. Suchte dann die Katze, die er gestern in seiner seligen Verblüffung vergessen hatte, und trug sorgsam das schwarzgraue, unschöne Tier auf seinem Arm nach Hause.
In Stuttgart aber, in dem prunkenden Haus in der Seestraße, war nichts von der erhofften Seligkeit, sondern nur Druck und Wirrung. Magdalen Sibylle zwar fand er frei von jeder Hoffart, und war alles böser Schwatz gewesen, womit man vermeint hatte, sie zu verleumden und zu schwärzen; aber es war auch nichts mehr da von jener heiligen und beglückenden Heimlichkeit, von jenem strahlenden Anderssein, das früher um sie gewesen war und ihn hochgetragen hatte. Sein Gefühl blühte nicht mehr in ihrer Gegenwart, es blieb kahl, dies engte ihn und verwirrte ihn. War sie doch so untadelig, bieder, brav, fromm. Daß seine Ernüchterung gerade daraus kam, gestand er sich nicht ein.
Nie geahnte Qual und Wirrung aber brachte ihm seine Tätigkeit bei Süß. Er hatte reichlich Muße; denn es waren außer ihm und Nicklas Pfäffle noch zwei Sekretäre da für die weitläufige Privatkorrespondenz des Finanzdirektors. Süß befahl ihn also nur sehr spärlich zu sich. Dann aber diktierte er ihm Schriftstücke allergefährlichsten Inhalts, so beschaffene, daß sie auch dem Arglosesten die ganzen schwarzen Pläne zum Verderb evangelischer und parlamentarischer Freiheit nackt dartun mußten. Akten, von denen jede Zeile den Herzog und den Finanzdirektor schwer kompromittierten, Dokumente, die dem Magister die heimlichsten, wichtigsten, schlüsselhaftesten Details des katholischen Projekts in die Hand gaben.
Taumelig drehte und wirbelte es dem unseligen Jaakob Polykarp Schober das ganze Innere. Süß diktierte seine schwarzen, ruchlosen Heimlichkeiten mit glatter, unbewegter Stirn und Stimme; er mußte unbegrenztes Vertrauen in seinen Sekretär setzen. Schober war bei ihm in Amt und Pflicht. Sollte er nun hingehen, wortbrüchig sein, seine Wissenschaft verraten, das Vertrauen des Juden kalt beschwindeln? Es war freilich nur ein Jud: aber hatte dann nicht jeder Lump und Hundsfott ein Recht, ihn, den Schober, einen Schurken und zweizüngigen Schuft zu nennen? Wenn er aber hinwiederum schweigend zusah, wie der Glaube und die Freiheit seines Landes arglistig und schmählich zu Tode gedrosselt und viele hunderttausend evangelische Seelen in den Pfuhl und letzten Höllenschlund gestürzt wurden, war er dann nicht noch mehr ein Schelm und Verdammter?
Gezwickt und zerfetzt von allen Hunden des Zweifels war der Magister. Wie erwählt war er sich in Hirsau vorgekommen, als er die dünne Hoffnung hatte, von Gott an den Hebel großen Schicksals und Erlösung gestellt zu werden. Und
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