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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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ward ihm diese Vorstellung. Stuttgart ist sein Herz, der Neckar seine große Schlagader, das schwäbische Gebirg ist seine Brust, der schwäbische Wald sein Haar. Er ist Württemberg, leibhaft, Württemberg nichts als er.
    So Großes, süß und bluthaft schwellend Lebendiges konnte nicht mit kleinen, kniffligen Advokatenmitteln ertiftelt werden. Hatte er das gedacht? Hatte der Jude es gesprochen? Jedenfalls fuhr der jetzt fort: »Geniehaft und in einem muß es gepackt sein. Auf solche Art muß es geschehen, daß das Landeines Morgens aufwacht und einfach in dem Herzog steckt, in seinem gottgewollten Fürsten, nichts ist als des Fürsten Haut und Fleisch und Blut. Nicht kleiner Kampf und Scharmützel und albernes, leidiges Hin und Her zuvor. Nein, selbstverständlich, naturhaft muß es geschehen, wie eine Knospe aufspringt, wenn sie soweit ist.«
    Ja, ja, ja! Recht hat der Jud. Unmöglich ist es und unvorstellbar, daß man darum soll streiten und disputieren. Denn dann wäre er ein Hanswurst und alberner Fant und sein Leben Narretei und Gestümper und ein ausgeblasenes Ei. Aber das begriffen sie nicht, die Remchingen und Fichtel und Pancorbo. Sie waren treue Diener, gute Offiziers und gewitzte Diplomaten: doch das Genie, das Lebendige, um so etwas Wundervolles in seiner ganzen heiligen Selbstverständlichkeit zu fassen, das hatten sie nicht. Das hatte – es war verteufelt, es machte einem das Hirn sieden, aber es war nun einmal so –, das hatte nur der Jude.
    Es wurde nichts Wort von alledem zwischen dem Herzog und Süß. Aber es wellte vom einen zum andern, pulste ungesagt herüber, hinüber. So war es immer gewesen in diesen letzten Wochen. Es war ein Leben in ihnen, der Jude antwortete wortlos durch die Tat auf wortloses Fragen, Heischen Karl Alexanders, es war, als atmete er die Luft aus, die jener einzog; sie waren Teile eines Körpers, unlöslich verknüpft.
    Immer wilder hatte der Jude die finstere, brünstige Sehnsucht des Fürsten geschürt nach dem Tag, da das Land sich in ihn wandeln solle und nichts mehr sein außer ihm, ihn hineingehetzt in seine Gottähnlichkeit, in seine cäsarisch hemmungslosen Träume, ihm sein ganzes schwelendes, fanatisches Feuer ins Blut gebrannt. Der vergiftete Fürst suchte gierig Bestätigung, neuen, wilderen Antrieb in dem heimlich einverständnisvollen Blick des Juden. Manchmal freilich, auf Augenblicke, tauchte er auf aus seinem Fieber, überlegte dann, wohinaus diese seltsame, hexerische Kumpanei führen solle. Es war unausdenkbar grauenhaft, auf Lebenszeit solchen unheimlichen Mitwisser seines Blutes und seiner vergrabenstenHeimlichkeit zu haben. Man wußte selber kaum, was alles Trübes, Giftiges man zuunterst im Herzen trug, man stieß es hinunter, wenn es zutage drängte, gestand es sich selber nicht ein. Ein anderer gar, in den soviel von dem eigenen Dunkeln hinübergewachsen ist, es war nicht zu denken, daß so jemand am Tag ist, am Licht ist, lebt. Jetzt braucht er ihn, das Projekt kann nicht gewirkt werden ohne ihn; nur die heutige Sitzung wieder hat es erwiesen. Aber ist es erst gewirkt, dann wird er ihn stumm machen, vergraben wird er ihn in den tiefsten Kasematten irgendeiner Festung, wie man das Wilde, Verderbliche, Ur-Böse des eigenen Herzens nicht ans Licht läßt.
    Er sah hinüber zu dem Juden, mißtrauisch, haßerfüllt. Wußte der nicht schon wieder um diese seine Gedanken? »Setz Er also das Reskript auf, wie Er es für gut hält!« herrschte er ihn an. Süß neigte sich höflich, beflissen vor dem Atmenden, Erhitzten. Aber in seinen Augen wölkte dunkle, höhnische, wölfische, triumphsichere Erwartung.
    Das Land wälzte sich stöhnend, in kaum mehr erträglicher Spannung und Beklommenheit. Es war klar, daß die Katholischen mit ihren Vorbereitungen fast am Ende waren und in allernächster Zeit schon losschlagen würden. Überall häufte sich Bedrohliches, das keine bloßen Vermutungen mehr erlaubte, sondern auch dem Sorglosen Gewißheit aufzwang. In der Nähe der Grenzen wurde allerorts fremdes Militär zusammengezogen, bayrisches, würzburgisches. Der Elfer-Ausschuß hatte sichere Nachricht, daß dem Herzog neunzehntausend Mann Hilfsvölker allein von Würzburg zugesagt waren; ihre Vorhut stand bereits in Mergentheim, dem Sitz des Deutschmeisterordens, wartete dort auf Befehl zum Vormarsch. Auch im Land selbst mehrten sich Soldaten, die fremde Dialekte sprachen, bayrische, fränkische. Sie marschierten des Nachts in kleinen Trupps. Die herzoglichen

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