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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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nun ging sein vermessener, überheblicher Wunsch auf so grausame, zwielichtige Art in Erfüllung, daß er die Hunderttausende der schwäbischen evangelischen Brüder nur durch Preisgabe der eigenen Seele retten konnte. Qualvoll stand er und zitternd wie ein geschorener Hund. Er fiel vom Fett; jähe Hitzen überflogen ihn des Tags, wechselnd mit kaltem Schweiß, des Nachts trieb es ihn schlaflos hoch, daß er aufstand, über die alte, häßliche Katze stolpernd, stöhnend auf und ab lief.
    Er ging zur Beata Sturmin, bat sie zu däumeln. Die blinde Heilige schlug auf: »Und die Kinder Israels brachen auf von Rithma und lagerten in Rimon Perez.« Der Magister dachte lang und scharf nach, was darunter verstanden sei, und erkannte: Rithma war das, was er lassen, Rimon Perez das, was er tun sollte. Aber er brachte nicht heraus, war Rithma der Treubruch gegen den Juden und Rimon Perez die Erlösung der evangelischen Brüder oder umgekehrt. Und er lebte weiterin Schweiß und Zweifel und arger Not und wog Tag und Nacht das Seelenheil des ganzen Landes in seinen dicken, unwissenden, unentschlossenen Händen.
    Kurz und seine Unzufriedenheit kaum verbergend, entließ Karl Alexander die Herren, denen er die Leitung des katholischen Projekts anvertraut hatte, aus der geheimen Sitzung. Den Juden hielt er mit ungeduldigem Wink zurück. »Er hat gar nichts gesagt, Jud!« herrschte er den höflich Abwartenden an.
    »Es war nicht wert, daß man antwortete«, erwiderte Süß und wischte mit einer leichten Schulterbewegung glatt weg, was in der Sitzung geredet war.
    Karl Alexander schnaubte leise, hieb mit den Fingerknöcheln die Tischplatte. Gift und Opperment! Es war eine Schweinerei, daß der Jud recht hatte.
    Der nahm ihm, schon wieder, die Gedanken aus dem Hirn, formulierte sie. »Die Herren tifteln herum«, sagte er mit seiner geschmeidigen, höhnischen Stimme. »Messen das Detail, den Spinnwebfaden, haben keinen Blick fürs Ganze. Was wissen denn die!« Und sein Ton verwies sie in die unterste Region der Dummheit und Unfähigkeit. »Als ob es darauf ankäme, mit fadenscheinigen Advokatenkniffen den Reversalien da ein Komma wegzupraktizieren und dort einen I-Punkt. Was für armselige, schäbige Krämermethoden! Ein Reskript, ein einziges, genügt: Wir, Karl Alexander, Herzog von Württemberg und Teck, nehmen die Rechte, die Uns Gott gegeben und die man Uns gaunerisch, tückisch, rebellantisch abgezwackt hat, wieder an Uns. Wir sind von heut an in Wahrheit der Herr des Landes. Wir sind Württemberg! Aber davor zucken die Herren feig und lahmarschig zurück. Das verstehen sie nicht, da schütteln sie die Köpfe und haben Bedenken und Zungenschnalz und Oh und Ach und Aber. Der Gedanke ist ihnen zu einfach, zu groß, zu fürstlich, zu königlich.«
    Karl Alexander, bei allem dumpfen Zorn, den er gegen den Juden nährte, spürte wieder, daß nur der ihn verstand, daßnur der wußte, worauf es ankam. Mit einer widerwilligen, ingrimmigen Bewunderung sagte er sich, daß er nur durch ihn, mit ihm das katholische Projekt wird zu Ende führen können. Was Süß in seine kräftigen, unheimlich gewandten Hände nahm, das knetete er wie durch Zauber rund und fügsam. Vor seinem fanatisch schwelenden Feuer ward all die brave und gewissenhafte Mühe lächerlich, mit der die anderen zappelnd und qualvoll halbe Erfolge zettelten. Was überhaupt wußten denn die anderen? Für sie war das katholische Projekt ein Geschäft, eine Aufgabe, eine lebenswichtige Aufgabe vielleicht. Aber daß es doch in Wahrheit viel mehr war, daß dieser Staatsstreich sein, Karl Alexander, Leben und Sinn selber war, das wußten doch, spürten doch nur er und der Jude.
    Denn so hatte sich ihm langsam das Projekt umgebildet, so hatte es unter dem knetenden, hetzenden Auftrieb des Süß sich ihm ins Blut gebrannt. Erst war es ihm Politik gewesen, Mittel zur Macht, Dekoration, nichts weiter; dann war es Mystik geworden, ersehnte Lösung aus einer Bindung, Religion. Jetzt hatte es sich verwandelt in sein Leben und Blut selber. Er wird jetzt, das ist der Sinn und Krone des Planes, das Land selber werden. Nicht ein Diener oder Fürst des Landes, nicht ein Gesetzgeber oder Feldherr, dies alles ist armseliges Gestümper und Unsinn. Er wird das Land ganz in sich hineinschlingen, wird so in das Land hineinschlüpfen, daß er das Land selber ist. Das Land kann nur atmen, wenn er atmet, schreiten, wenn er schreitet, wenn er stille steht, steht es still. Leibhaft geradezu, körperhaft

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