Jud Sueß
mußt mich hören. Ich spreche ganz leise, ich hebe die Stimme nicht, aber deine Ohren und dein freches, gewalttätiges Herz sind doch voll davon. Und du mußt ganz stillhalten und darfst nicht sterben und mußt mich hören.
Ja, das Kind ist anders gestorben. Warst hinter ihr her mit Hussa und Gegröl, dein verfluchter, stinkender Atem war über ihr; aber sie hat dürfen lächeln und leicht sein, und tausend gute Engel streckten ihr die Arme entgegen. Und du bist vor der Toten gestanden mit deinem ratlosen, dummen Metzgergesicht, und wie ich dir nicht hineinspie, hat du geglaubt, jetzt ist alles gut und es ist nichts gewesen. Sieh, Karl Alexander, sieh, du dummer, tölpischer Herzog, ich bin dir nicht in das geile Gesicht gesprungen damals, so einfältig hab ich es nicht gemacht, ich hab dich mir erst zurechtgerichtet, hab dich präpariert, daß du aussähest wie ein Mensch, ja wie ein Fürst. Bäumst du hoch? Schnaufst du? Ja, da liegst du, ein trauriges, lächerliches Stück Fleisch, höchst ridikül vor dir und den anderen. Denn sieh, du armer Narr, deine großenGedanken, daß du zum schwäbischen Louis Quatorze dich recken solltest, deine Cäsar-Träume, die hab ich ja in dich hineingeträumt. Du warst nichts als ein kleiner, gewalttätiger Zufallsherzog all deine Tage, und ich hab dich lassen tanzen.
Glotz mich an mit deinen großen Augen. Ich drück sie dir noch nicht zu, ich bin noch nicht am Ende. Sieh, gerade mein Schlechtestes hab ich in dich hineingeträufelt, meinen verworfensten Samen. Ich hätt es können wirken, daß du mich vor aller Welt umarmtest und Bruder nanntest; ich hätt dir nur müssen die Papiere zeigen, daß ich ein Sohn vom Heydersdorff bin, ja, dem Baron und Marschall und Christen. Aber das hab ich für mein schlechtestes Teil geachtet und hab es ganz in dich hineingegossen und hab dich tanzen lassen und dich gemästet, bis daß du reif warst.«
Er ließ ab von dem Sterbenden, versank; dann wieder begann er, verändert, milder: »Ja, es hat mich zu dir gezogen, ich hätte können dein Freund sein. Aber du, wenn du so was gespürt hast, hast dich gewehrt und dagegen geknurrt, und nur mein Schlechtes hast du aufgenommen und es blühen lassen in Schuß und Saft. Du großer Herr und Held, du deutscher Louis Quatorze! Du armer Hahn und Narr!«
Draußen auf dem Korridor hastige, erregte Stimmen. Der Doktor Wendelin Breyer kam, der Kammerdiener Neuffer; hernach auch Pater Kaspar, der Beichtiger; er war nicht so leicht zu finden gewesen, er war in der Konditorei gesessen mit dem unscheinbaren, kluggesichtigen Würzburger Geheimrat Fichtel, der, nicht angesteckt von der allgemeinen Unruhe, den Triumph dieser Nacht auskostend, behaglich viele Tassen seines braunen Kaffeetranks schlürfte. Jetzt stürzte das alles her, betätigte sich hastig, hilflos, sinnlos um den Verlöschenden, grausam Entstellten, befragte verstört den Süß, der lässige, flüchtige Auskunft gab und sich bald unbemerkt aus dem Getrieb um den Sterbenden fortmachte. Im Nebengemach die Sängerin zog sich an. Die leise, heiße, hassende, sich einfressende, triumphierende Stimme haftete ihr, sie übergrausend, im Ohr; fahl, fröstelnd, geschüttelt vongroßäugigem Entsetzen, schlüpfte sie unordentlich in ihre Kleider, hastete, die unheimliche Stimme hinter sich, geduckt über die Korridore, atmete befreit, als sie vor dem Tor stand, das Schloß im Rücken, im stoßenden Wind.
Der Doktor Wendelin Breyer wollte den Herzog zur Ader lassen. Aber es kam nicht soweit. Der Mameluck, mit ihnen zurückgekommen, war still ganz nah an den Mann im Lehnstuhl herangetreten; mit gespannter, grausamer Sachlichkeit beschaute er die krampfhaft geballten Hände, das aufgedunsene, blauschwarze Gesicht, die vorstehende Zunge, die groß offenen, weit herausgequollenen Augen. Dann mit seiner dunklen, sonderbar rauhen Stimme sagte er so plötzlich, daß alle zusammenfuhren – die meisten hatten ihn überhaupt noch nie sprechen gehört –: »Er ist tot.« Dem Doktor Wendelin Breyer blieb nichts übrig, als das gleiche zu konstatieren.
Während der Arzt noch, die hohle Stimme tief aus der Brust hervorgrabend, etlichen vagen Kommentar stammelte: heftig ausgebrochener Spasmus diaphragmatis, Steckfluß, stagnatio sanguinis plenaria – still und höhnisch schaute der Schwarzbraune auf den verwirrten, sich abarbeitenden, wichtig sich habenden Mann –, raunte es durch die Gänge, flog es durch die Vorzimmer, rief es der Zeremonienmeister in den
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