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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Sängerin nebenan, die nackend wartete, sich ängstlich tief unter die Decken duckte, das Kreuz schlug. »Aber es ist aus mit euch!« brüllte der entzügelte Herzog weiter. »Vermodern bei lebendigem Leib laß ich euch, Gesindel! Rottierer! Ketzer! Hunde! Zu eueren sauberen elf Brüdern vom Ausschuß schmeiß ich euch in meine tiefsten Kasematten.«
    »Es ist nicht an dem, Herr Herzog«, sagte da mit einer höflichen, feinen Stimme einer von den Alten, »es ist durchaus nicht an dem.« Und er verneigte sich viele Male. »Es ist so, daß mit Eurer Durchlaucht allergnädigstem Permiß niemand heut nacht in Stuttgart verhaftet wird. Es werden auch sehr wenig bayrische und würzburgische Truppen einrücken, und was unter der Losung: Attempto! eingetroffen ist, sind mit Eurer Durchlaucht allergnädigstem Permiß zur Hälfte evangelische Brüder. Und wenn auch der Herr Kommandant Röder hier ist, das Stadtreiterkorps ist darum nicht weniger in Bereitschaft und wird die Stadt unter allen Umständen halten.«
    Süß selber hätte nicht sachlicher, schärfer, mit weniger Worten darlegen können, wie in den Grund hinein der Putsch verraten und vertan war, als der kleine, hagere Mann, der sehr höflich und mit vielen Kratzfüßen und Permiß-Einholungen noch mehr Details aufzählte. Aber er konnte nicht zu Ende kommen und zum Zweck seiner Rede; denn der Herzog hatte nur die ersten Sätze gehört; dann begab sichmit ihm eine erschreckende Veränderung. Die Hand, die den gedrungenen, proletarisch aussehenden Deputierten noch immer festhielt, ließ allmählich locker, das Gesicht lief blaurot an, ein seltsames, wundes, tierhaftes Rasseln kam aus der Brust, der Mund schnappte hilflos, und unversehens lag der schwere Mann auf dem Boden, verkrampft und gräßlich entstellt. Die vier Bürger, wie sie das sahen, fürchteten, man werde ihnen eine Schuld geben, das Schloß war voll von Feinden, sie waren von dem Mamelucken auf geheimnisvolle, verdächtige Art, ungemeldet, durch eine Hintertüre eingelassen worden, sie besorgten, sie möchten mißhandelt oder gar kurzerhand erschlagen werden; sie machten sich eilends fort und waren froh, als sie in Sturm und Regen, abseits haltend, ihre Kutsche fanden und zitternd vor Frost und Erregung glücklich wieder auf dem Weg nach Stuttgart waren.
    Karl Alexander lag indes auf dem Boden, allein mit Süß und dem Schwarzbraunen. Über der mächtigen, behaarten Brust hatte er sich die Kleider bis aufs Hemd aufgerissen. Verstört lauschte von nebenan und sich duckend das nackte Mädchen auf das wilde, tierhafte Rasseln, das von ihm kam. Mit unendlicher Mühe schickte er sein erstarrendes Aug mit einer wilden, grenzlos haßvollen Frage auf die Suche. Süß, ihm entgegenkommend, sagte: »Ja, Herr Herzog.«
    Der Jude wußte nicht, ob er das so gewollt hatte oder wie überhaupt er gewollt hatte, daß der Herzog Verrat und Zerschmetterung des Putsches aufnehmen solle. Er fragte sich auch nicht, ob die Ermattung durch den Karneval oder das Aphrodisiakum mit schuld waren an diesem Zusammenbruch oder ob er allein ihn und willentlich so gewirkt habe. Wie getrieben hatte er alles so geordnet, wie es dann kam, es so gelenkt, daß der erhitzte Herzog statt des erwarteten Glücksboten die nächtliche Unheilsdeputation vorfand. Daß er ins Herz treffen, daß er Sinn und Wesen des Gegners für immer lähmen und zermalmen mußte, war gewiß. Kam nun auch der äußere Zusammenbruch hinzu, so war das nicht gewollt, doch nicht unwillkommen.
    Mit aller Kraft hob er den schweren Leib in einen Lehnstuhl, warf dem Schwarzbraunen hin: »Es wird gut sein, du holst den Pater Kaspar.« Zögernd nur entfernte sich Otman und ließ den Juden mit dem Sterbenden allein.
    Vereisend hörte die Sängerin im Nebenzimmer, wie eine leise, von einem wilden Gefühl bis zum Zerreißen gespannte, weißbrennende Stimme auf den jetzt stummen Herzog einsprach. Die einzelnen Worte konnte sie nicht verstehen; aber sie erstarrte vor dem grauenvollen, hassenden Triumph dieser heißen, flüsternden Stimme.
    Es sprach aber der Jude dies: »Herzog! Grober, einfältiger Herzog! Dummer, stier-tölpischer Karl Alexander! Jetzt möchtest du die Ohren zumachen, was? Möchtest dich davonmachen und mich nicht mehr hören? Möchtest beten und dir vom Beichtiger Linderung und ölige Verzeihung eintröpfeln lassen? Aber das konzedier ich dir nicht. Ich laß dich nicht sterben, eh daß du mich gehört hast. Verdreh die Augen, raßle mit all deiner Lunge: du

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