Jud Sueß
vor dem strahlenden Schwarz des Haares. Der kleine Eidechsenkopf, klarstirnig, von der Farbe alten edlen Marmors, äugte bei aller fernen Hoheit ziervoll und begierdenweckend. So sonnte sich Marie Auguste in Trauer und großem Glanz.
Es war übrigens ein leerer Prunksarg, für den die Glocken läuteten, die Reden klangen, die Gesänge feierlich hochstiegen, die Salven der Geschütze krachten. Der tote Karl Alexander war während des Streites seiner Witwe mit dem Herzog-Vormünder trotz der Balsamierungskünste seiner Ärzte so zerwest und stinkend geworden, daß man ihn lange vor der offiziellen Trauerfeier in aller Stille in der neuen Gruft von Ludwigsburg hatte beisetzen müssen.
Die Diplomaten und Militärs, die in Ludwigsburg vom Tod Karl Alexanders überrascht worden waren, blieben zunächst sehr still und abwartend. In der Person des verhafteten Süß hatten sie für alle Fälle einen Beweis ihrer staatstreuen Gesinnung. Schon nach wenigen Tagen war auch den Schwerfälligen klar, daß die Verfassungspartei selbstverständliche Siegerin bleiben mußte und daß an Militärrevolte und katholisches Projekt nicht mehr zu denken war. Nur ganz wenige völlig Verbohrte unter Führung eines Prinzen Waldeck lehnten es ab, sich auf den Boden der Tatsachen zu stellen. Die anderen hatten nie an gewaltsamen Umsturz gedacht, alle ihre Maßnahmen waren natürlich immer im Rahmen der Verfassung und unter Voraussetzung parlamentarischer Billigung geplantgewesen. Es gab einen einzigen Verbrecher und Gewaltmenschen, Urheber alles Schlechten, Hebel allen Unheils, Ratgeber allen Übels, der den guten Fürsten verleitet und alle seine edlen Pläne ins Gegenteil verkehrt hatte, Landverderber und Schelm und Schurken, einen einzigen, den Juden. Und wie rein und staatstreu man sich selber fühlte, erhellte daraus, daß man sotanen Juden nicht hatte entwischen lassen, daß man ihn sogleich gepackt hatte.
Nun war ja die Verhaftung des Süß eigentlich sehr einfach gewesen und nicht gerade sehr glorios und dem Prestige der Herren förderlich. Man mußte also die simple Manier, wie man in Ludwigsburg seiner habhaft geworden, ein weniges ausstaffieren und nobler und romantischer machen. Durch Stuttgart ließ man das Gerücht wispern, schon ward es lauter, war Gewißheit, Süß habe sich gleich nach dem Tode des Herzogs aus Ludwigsburg fortgestohlen, sich in die Hauptstadt in sein Haus geschlichen, sich dort verborgen gehalten, schließlich unter Mitnahme von Preziosen und belastenden Papieren ins Ausland zu fliehen versucht. Aber die braven Offiziere, voran der wackere Major Röder, der Biedermann und gute Protestant, den die ganze Stadt liebte und ehrte, hatten Aufenthalt und Flucht des Kujonen gerade noch rechtzeitig ausgespäht. Man erzählte genaue Einzelheiten, Süß habe sich durch die Weinberge geschlichen, sei auf der hintern Kriegsbergstraße schon eine gute Strecke weit entkommen. Da aber hatte der Major Röder seine besten Stadtreiter genommen – sogar die Namen wußte man, Guckenberger, Trefts, Weis, Mann, Meier –, und so zu sechsen seien sie ihm nachgebraust. Auf der Kornwestheimer Höhe hätten sie den Flüchtling eingeholt. Mit gespannter Pistole habe der wackere Röder ihm sein Halt! entgegengedonnert. Nichts habe dem Juden seine Unverschämtheit, sein Geschrei und seine Drohungen geholfen. Die wackeren Stadtreiter hätten seinen Wagen gewendet, und jetzt, jetzt gleich werden sie ihn über die Galgensteige durch das Ludwigsburger Tor einbringen.
Eine festlich grölende Menge erwartete die Kutsche mit dem Häftling. Derbe Witze, frohe Erregung, Lausbuben hoch auf den Bäumen, auf den Vorsprüngen des Tors. In dem Wirtshaus »Zum Blauen Bock«, hart am Tor, saß mit anderen wohlhabenden Bürgersöhnen der junge Langefaß, ein aufgeräumter, fetter Bursch, sehr blond, rotes Gesicht mit blauen, kleinen Augen. Der bewirtete seine Kumpane mit altem Uhlbacher, scherzte lärmend mit den Mädchen, es war eine lustige Gesellschaft, angeregt wie beim letzten Karneval. Als endlich unter gellendem Geschrei die Kutsche mit Süß das Tor passierte, von Röder und seinen Reitern eskortiert, stürzten sich etliche vom Tisch des jungen Langefaß auf den Wagen, rissen den Gefangenen heraus, stauchten ihn hin und her, pufften ihn, schlugen ihn, stießen ihn, zerrten ihn. Der junge Langefaß ließ derweilen den Major Röder hochleben, der nahm das Glas an, tat schmunzelnd Bescheid, während das Volk den Juden verprügelte. Süß benahm sich
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