Jud Sueß
Karl Rudolf ihre vielen Beschwerden an. Seine Stummheit reizte sie, sie wurde hastiger, zählte neben Bedeutsamem lächerliche Kindereien auf, verhaspelte sich; ihre Beiständer mußten ihre Reden wieder ins rechte Garn bringen. Verächtlich und angewidert hörte Karl Rudolf zu, wie sie, gewöhnlich am falschen Ort, mit wichtigem Gehabe juristische Fachworte gebrauchte. Die heiligen Begriffe Reversalien, bürgerliche Freiheiten schienen ihm profaniert in diesem kleinen, törichten, dirnenhaften Mund. Er antwortete kurz, behutsam, grob, griff geschickt auf, was sie Unsinniges gesagt hatte, die Einwände und Korrekturen des Kapuziners und des feinen Bibliothekars überhörte er hart und verächtlich; er hatte, der Fürst, nur mit der Fürstin zu tun. Er schalt Marie Auguste, sie sei übel beraten und es stehe ihrer Dignité nicht an, Remchingen, den schlechten, landesverräterischen Mann, zu verteidigen. In allen kleinen Etikettefragen, die sie groß und wichtig vorgebracht hatte, versprach er ungesäumte Abhilfe, um so fester bestand er auf allem politisch wirklich Wichtigen. Der Kapuziner und der Bibliothekar rangen die Hände, wie die Herzogin triumphierend diese kleinen Konzessionen einstrich, um dem schlauen, groben Usurpator dafür alles Wesentliche preiszugeben. Man kam schließlich noch auf die finanziellen Dinge zu sprechen. Davon verstand nun Marie Auguste gar nichts; sie stammte aus einem der reichsten europäischen Häuser, warf mit Herrschaften um sich wie andere mit Pfennigen, fand es plebejisch, von Gelddingen auch bloß zu reden. Karl Rudolf seinesteils gab sich zwar ungeheuer rechenhaft, wenn es um die Interessen des Landes ging; für sich selbst aber war er durchaus bedürfnislos, er war ein alter Herr, Kinder hatte er nicht, so war es gewiß, daß er sehr reichlich hinauslangen wird. Es fielbeiden nicht schwer, sich nobel zu zeigen, sie verständigten sich auf diesem Gebiet ohne Mühe, schieden in leidlichem Einvernehmen. Der Herzog war erstaunt und befriedigt zu der Überzeugung gekommen, Marie Auguste sei gar keine große Babel, sondern eine Gans, und die Herzogin hatte erstaunt und befriedigt wahrgenommen, Karl Rudolf war eigentlich gar kein stiernackiger, bäurisch zäher Usurpator, sondern schlechthin ein Esel. Auf Grund solcher Erkenntnis trennten sich die beiden fast mit einem gewissen überlegenen und verächtlichen Wohlwollen.
Es kam natürlich auch späterhin noch zu zahlreichen kleinen Streitereien. Doch der Herzog-Administrator war durch diese einzige Entrevue sich hinreichend klargeworden über die einzuschlagende Politik. Wollte er von Marie Auguste ein ernstliches Zugeständnis in Verwaltungsfragen erreichen, so kränkte er sie in Dingen der Etikette. Stritt ihr etwa einen Titel ab, schickte ihr einen Subalternoffizier statt des bisherigen Stabsoffiziers als Wache, schikanierte ihren Liebling, den feinen, modischen Bibliothekar. Reklamierte sie, so verlangte er mit Erfolg als Kompensation für die Abstellung solcher Mißlichkeit Konzessionen in politischen Fragen.
Zu einem ernsthaften Streit kam es anläßlich der Vorbereitungen zu Karl Alexanders Leichenbegängnis. Marie Auguste freute sich durch zwei Monate darauf, bei diesem Anlaß als die schönste und mondänste Witwe des Reichs, als die vielumstrittene große Fürstin, auf die Rom und die ganze katholische Welt ihre Hoffnung setzten, vor den Augen Europas zu paradieren. Allein der Herzog-Administrator verbot als aufreizend die Ausübung katholischer Riten bei der Bestattung; die katholischen Fürsten und Herren drohten daraufhin, der Feier fernzubleiben. Marie Auguste ärgerte sich krank und alt vor Wut. Der Kaiser mußte durch persönliches Handschreiben Karl Rudolf zur Nachgiebigkeit bringen. Die Trauerfeier wurde dann auch mit ungeheurem Gepräng vollzogen. Die endlosen Reihen der Trauerwagen, Kerzenträger, Gugelmänner, die schwarze Gala der Fürsten und Herren,Beamten, Livree. Der stundenlange Aufmarsch der Truppen. Die Glocken, Reden, Gesänge, Ehrensalven für den Toten. Und viele tausend bewundernde, begehrliche, heiße Augen auf der wunderschönen Herzogin-Witwe. Dünnstielig und geschmeidig über dem weiten schwarzen Brokat des Rockes die Taille; unwahrscheinlich weiß und edel Gelenk und Hände aus den schwarzen Spitzen der Ärmel heraus; kein Schmuck außer Stern und Kreuz des päpstlichen Ordens und eine Kette von sechzehn erlesenen schwarzen Perlen. Der Witwenschleier so gesetzt, daß sein Schwarz stumpf blieb
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