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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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übrigens keineswegs geduckt und ängstlich, er hieb kräftig zurück, einem Knirps, der sich in seine Wade verbiß, gab er eine Maulschelle, daß der Junge unter die Beine der Nachdrängenden kollerte; auch erwiderte er kräftig die Flüche und Beschimpfungen seiner Angreifer. Es war keine fanatische, sondern eine sachliche, saftige Rauferei. Aber schließlich wäre der Jude, trotzdem es dem Volk eine im Grund harmlose Angelegenheit war, aus purem Gaudium totgeschlagen worden, wenn nicht Stadtgrenadiere dazugekommen wären und ihn mit Hilfe der Stadtreiter dem Volk entrissen hätten. Erschöpft und atemlos hockte er im Wagen, zerrauft und zerrissen, voll Schmutz und Blut. Der junge Langefaß, der ein Spaßvogel war und deshalb bei den Frauen sehr beliebt, hatte witzigerweise die Perücke aufgehoben, die dem Juden bei dem Geraufe entfallen war, und trug sie zum allgemeinen Ergötzen auf seinem Stöckchen voraus. So fuhr unter Kreischen und Jubel Süß auf den Markt in das Herrenhaus.
    Da dieser ihm entzogen war, fing sich der Pöbel unter Anleitung des jungen Herrn Langefaß die anderen Juden zusammenund trieb seine Kurzweil mit ihnen. Besonderen Spaß machte es, einem alten Juden, der sich verzweifelt wehrte, das grauweiße Haar und den Bart auszurupfen, wobei Langefaß unter dröhnendem Beifall etliches Witzige über Läuse von sich gab. Ein junges, zitterndes, nicht hübsches Mädchen, eine gewisse Jentel Hirsch, wurde unter vielem Gewieher nackt ausgezogen und nach Flöhen abgesucht. Alle Stuttgarter Juden, vom Greis zum Säugling, wurden auf solche Art von dem geschäftigen Pöbel zusammengefangen und unter einer riesigen Eskorte von Straßenjungen, unter Steinund Kotwürfen, dem Stadtvogt überstellt. Zwei Prager Juden kamen just während dieser Vorgänge mit Eilpost an, um mit dem allvermögenden Finanzdirektor gewisse Bankgeschäfte zu regeln. Sie waren nicht sehr vertraut mit schwäbischer Politik, sie hatten insbesondere keine Ahnung, wieso das katholische Projekt mit ihren Landbankgeschäften zusammenhing; sie wußten nur, daß Süß der mächtigste Jud Europas war und daß die Judenheit Württembergs besonderen Schutz genoß. So mehr waren sie erstaunt, als sie, kaum dem Postwagen entstiegen, gepackt, geschüttelt, geprügelt, in Verhaft gebracht wurden und als sie hörten, in welchen jämmerlichen Zustand der großmächtige Finanzdirektor gestürzt war. Es kamen übrigens bei diesen Verfolgungen verschiedene Juden ums Leben, darunter drei Frankfurter Schutzjuden, weshalb die freie Reichsstadt bei der württembergischen Regierung energische Klage führte. Der Herzog-Administrator sagte denn auch: Pflicht! Autorität! Gerechtigkeit! und setzte drei von den Schuldigen für zwei Tage auf die Wache.
    Ein rascher Poet brachte die Gefangennahme des Süß in eingängige Reime. Bald flog seine Dichtung durch Stuttgart und durchs ganze Land; insbesondere zwei Verse wurden allenthalben zitiert und prägten sich jung und alt fürs Leben ein: »Da sprach der Herr von Röder: / Halt! oder stirb entweder!« Die Popularität des Majors Röder hatte überhaupt durch die umsichtige Art, wie er die Flucht des arglistigen und gottlosen hebräischen Landverderbers verhindert hatte,womöglich noch zugenommen, und wo er mit seinem harten Mund, seiner niederen Stirn, seiner knarrenden Stimme auftauchte, brachten ihm begeisterte Bürger Ovationen.
    Am Tage, an dem Süß nach Stuttgart eingebracht wurde, versuchte man auch sein Palais in der Seestraße zu stürmen und zu plündern. Führerin bei diesem Unternehmen war die Sophie Fischerin, die Tochter des Expeditionsrats, frühere Mätresse des Süß. Die träge, schöne, üppige Person hatte sich seltsam verändert. Sie schrie, glühte, arbeitete sich ab, dicke, blonde Strähnen zottelten ihr, Schweiß troff ihr übers Gesicht. Die Häuser der anderen Juden waren schutzlos geblieben, und manches gute Stück Hausrat, auch Schmuck und bares Geld, kam bei diesem Anlaß unter die Leute. Das Haus des Süß hingegen war durch ein starkes Militäraufgebot geschützt, Nicklas Pfäffle hatte rechtzeitig Vorsorge getroffen. Noch ein anderer hatte sich kräftig und mit Erfolg um den Schutz des Hauses bemüht, Dom Bartelemi Pancorbo. Als Regierungskommissar erschien er mit Polizei und Militär und beschlagnahmte Haus und Habe. Geleitet von Nicklas Pfäffle schlurrte er langsam durch die weiten, glänzenden, sehr geordneten Räume, äugte aus entfleischtem, blaurotem Kopf in alle Winkel.

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