Jud Sueß
Würzburg, nach Brüssel zu ihrem Vater. Als trauernde Witwe zeigte siesich dem Hof und dem Land, sehr ziervoll der kleine, langäugige, blasse Kopf in dem schwarzen Pomp. Ihr Söhnchen, den Herzog, ließ sie aus Brüssel kommen, wies die fürstliche Waise, das Kind mit den strahlend großen Augen, dem gerührten Volk.
Aber Karl Rudolf, der alte Soldat, ließ sich nicht irremachen. Er veröffentlichte eine Erklärung, er denke nicht daran, die Armee zu verringern, veranlaßte auch das Parlament zu einer ähnlichen Kundgebung. Tags darauf stellte er die Truppen unter den Oberbefehl des Generals von Gaisberg, diktierte dem schäumenden Remchingen Hausarrest, stellte Wachen vor seine Tür. Dies war kühn, es konnte Blutvergießen, Krieg, bewaffneten Widerstand von innen und von außen zur Folge haben, alles verderben oder alles retten. Es verdarb nichts. Die Truppen und mit ihnen das Land fügten sich, huldigten dem Herzog-Administrator.
Der Kaiser zögerte mit der Bestätigung dieser gewaltsamen Regelung. Die Jesuiten der Herzogin drängten darauf, daß der Wiener Hof Karl Alexanders letztes Testament für rechtsgültig erkläre, den Fürstbischof und die Herzogin als Vormünder sanktioniere. Der Fürstbischof selber reklamierte, protestierte in eigenhändigen Briefen an den Kaiser, ließ durch seinen Hofrat und Professor Ikstatt eine ausgezeichnete Deduktion verfassen, die »Württembergische Grundfeste«, in der mit scharfsichtigen Argumenten die Legitimität des letzten, angestrittenen Testaments erwiesen wurde. Man bewunderte allgemein, selbst unter den Gegnern, die Subtilität dieser Beweisführung. Aber praktische Folgen hatte sie nicht. Karl Rudolf saß, nach der Ausschaltung Remchingens, fest im Besitz der Macht, war ohne Krieg, den niemand wollte, nicht zu beseitigen. Die Proteste, Reklamationen blieben platonisch.
Der kluge Würzburger hatte anderes wohl auch nicht erwartet. Er ließ seine Maschinerie ohne inneren Schwung arbeiten, nur um das Gesicht zu wahren. Er hörte den Vortrag seines höllisch schlauen, unscheinbaren Rates Fichtel. Er pflichtete ihm durchaus bei. Hier war für jetzt mit Gewaltgar nichts auszurichten. Die Kirche hatte Zeit, die Kirche arbeitete auf lange Sicht. Es galt, nun auf den jungen Herzog zu rechnen, ihn fest im katholischen Glauben zu erziehen; er freilich, der Bischof, wird diese Frucht nicht mehr reifen sehen. Im übrigen, armer Karl Alexander! Guter, fester, angenehmer Freund! Requiescas in pace. Er wird selber Messen für ihn lesen. Was im Augenblick zu tun blieb war nur, auf gute Manier aus der württembergischen Affäre herauszukommen, unkompromittiert.
Mit größter Umsicht wurde alles, was Würzburg und die Katholischen bloßstellen konnte, aus Stuttgart vertuscht und wegpraktiziert. Einige Dokumente, die am meisten belastenden, lagen bei Remchingen in Verwahrung. Nachdem der General unerwartet in seiner Wohnung verhaftet war, glitt, nach mißglückten Bestechungsversuchen an den Wachtposten, ein Kaminfegerjunge über die Dächer der an Remchingens Wohnung anstoßenden Häuser durch den Schornstein in das Zimmer, wo jene Akten lagen, überbrachte sie glücklich den Patres der Herzogin, die Dokumente verschwanden nach Würzburg.
Unterdes hatte der alte Regent die Armee durch seine soldatische Art ganz fest in die Hand bekommen, er verschärfte jetzt die Haft des Generals, ließ ihn mit seinem Adjutanten, dem Hauptmann Gerhard, auf den Asperg schaffen.
Diese Behandlung ihres lieben, wichtigsten Helfers riß Marie Auguste aus ihrer stolzen Reserve gegen den Herzog-Vormünder. Sie bequemte sich, Karl Rudolf um eine Unterredung zu ersuchen. Der alte Herr erschien ohne Zeremonien, stand schäbig, schlottericht, dörfisch, schief vor der geschmückten, mit allen Mitteln moderner Kosmetik hergerichteten, lieblich duftenden Dame. Er war allein; sie hatte ihren Pater Florian bei sich, den Beichtiger, und ihren Bibliothekar Franz Josef Hophan, den Politikus, einen jungen, katzenhaft sanften, literarischen, modisch gekleideten Menschen; er war nach dem Fall Remchingens neben dem Kapuziner ihr vertrautester Berater. Karl Rudolf beäugte kalt undvorsichtig das unsympathische dreiblättrige Unkraut, das leider Gottes den guten Garten Württemberg so betrübt überwucherte. Marie Auguste ihrerseits beschaute hochmütig und leicht amüsiert den schäbigen, dürftigen, kleinen Soldaten, der sicherlich die raffinierte Manier ihres Trauerkleides nicht zu würdigen wußte. Stumm hörte
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