Jud Sueß
zu empfangen, wurde der arme Lizentiat sehr schikaniert, wenn er mit seinem Klienten schriftlich oder mündlich kommunizieren wollte. Er aber ließ es sich nicht anfechten, sondern tat redlich, beflissen und ohne Talent seine Advokatenpflicht.
Süß war noch immer auf dem Hohenneuffen, gut gehalten. Um ihn herum waren die Herren des Inquisitionsgerichts, mästeten Leib und Seele und Geldbeutel an ihm. Er aber saß still und befriedet, in einer sonderbaren, wachen Rast, er saß wie in Watte, man konnte nicht heran an ihn.
Dies nagte vor allem an dem hageren, bitteren Herrn von Pflug. Man kam nicht weiter, die Untersuchung stockte, dieser Jud und Auswurf mokierte sich über einen. Er bat Herrn von Gaisberg, eine Plenarsitzung einzuberufen, er habe einen Antrag zu stellen. Die zehn Mitglieder der Kommission versammelten sich, sahen erwartungsvoll auf Herrn von Pflug. Der stand kantig schmal, geiernäsig, dünnlippig, mit trocken gierigen, harten Augen. Sagte, man habe bisher immer nur auf Majestätsverbrechen, Hochverrat, Münzfälschung inquiriert; es sei an der Zeit, die todeswürdigen Verbrechen zu untersuchen, die der Jud auf anderem Gebiet begangen habe. Das Reichskriminalgesetz bestrafe mit dem Tod den fleischlichen Umgang eines Juden mit einer Christin. Es sei aber männiglich bekannt, auf welch säuische Art der Inquisit christliche Jungfrauen defloriert, vornehme Damen und geringe Frauenspersonen profitiert habe. Es sei an der Reihe, die Untersuchung auch auf diesen Punkt auszudehnen.
Unbehaglich schwiegen die Herren. Das war eine kitzlige Sache. Wenn man hier hineinstocherte, wo endete das? Wen alles konnte man nicht kompromittieren, wenn man diese Affäre anschnitt? Es war ja sehr reizvoll, Vorhänge und Bettlaken zu lüpfen, am Wann und Wo und Wie und Vorn und Hinten sich zu erlustieren; schon malte sich auf den Gesichtern einzelner Herren eine leicht genierte Lüsternheit. Aber das ganze Römische Reich in diesen Sumpf schauen zu lassen, solche Courage wollte gut überlegt sein. Wer auch mochte wissen, wie viele Familien dahinein verstrickt waren, mit wem allem man sich im Lauf solcher Untersuchung verfeinden konnte. Es war eine kitzlige, eine sehr kitzlige Affäre.
Sehr ferne von solchen Erwägungen erwiderte endlich Johann Daniel Harpprecht, er sei nicht der Meinung, daß diesehohe Kommission genötigt sei, in diesen Dreck und Schweinerei ihre Nase zu stecken. Wohl sei es ein betrübtes Ding, daß so viele christliche Jungfern und Frauen sich dem Juden prostituiert hätten. Aber nur für die Fleischessünden des gewesten Finanzdirektors hätte gewiß weder der Herzog-Administrator noch das Kabinett noch das Parlament ein Sondergericht eingesetzt. Diese Vergehungen des Süß hätten Fürsten und Land nicht gefährdet. Auch sei jenes Kriminalgesetz, das auf die leibliche Vermischung von Jud und Christ den Tod setze, zwar nicht formaliter aufgehoben, aber seit zwei Jahrhunderten praktisch nicht angewandt und somit außer Schwang und Übung. Ferners gebe er zu bedenken, daß nach solchem Gesetz nicht etwan allein der Jud, sondern auch die betroffenen Christinnen Strafe des Verbrennens leiden müßten. Man möge also, eh daß man in dieser Richtung prozediere, sich die Konsequenzen gut überlegen.
Mit kaltem Fanatismus entgegnete der Geheimrat Pflug, er brauche den weisen und strengen Herren nicht zu sagen, daß sie nicht bestellt seien, hier Politik zu treiben, sondern das strenge Recht zu suchen. Hier gelte es nicht, staatsklug zu sein, sondern nur, ohne Ansehen der Person, gerecht.
Die anderen hatten mittlerweile das Für und Gegen weiter überdacht. Sie sahen sich an, erspähten prüfend heimliche Hintergedanken, geheimes Einverständnis einer im andern. Dehnte man die Untersuchung auf die Bettsünden des Juden aus, ei, den Ruf und das Schicksal wie vieler Frauen, wie vieler Familien würde man in die Hand kriegen. Man kannte Namen, es waren große, weitverzweigte Familien. Man konnte sich ja darauf beschränken zu inquirieren, konnte dann das weitere Prozedere dem Herzog-Administrator und dem Kabinett überlassen. Man brauchte ja auch nicht alles zu untersuchen, man hatte weite Vollmachten, konnte nach Belieben die hereinziehen, jene laufen lassen. Jedenfalls bedeutete solche Ausdehnung der Untersuchung für den einzelnen ungeheuren Zuwachs an Macht, Wichtigkeit, Einfluß. Man hing wie eine blitzschwangere Wolke über dem Land, konntenach Gutdünken treffen und verschonen. Und wie viele
Weitere Kostenlose Bücher