Jud Sueß
Fragen und Antworten fielen, konstatierte die Hartnäckigkeit dieses Schurken und Landverbrechers.
Dann wieder kamen Wochen, in denen Süß still und befriedet war, in der Einsamkeit seiner Zelle zu den nassen Wänden und der modrigen Luft sprach. Er sah seinen Vater, sehr leibhaft. Er stand in der Zelle, im Habit des Kapuziners, die schlanke, elegante Gestalt verfettet und verfallen, aber mit stillen, friedlichen Augen. Und er sprach mit ihm und sie waren sehr einig und er ging Arm in Arm mit ihm, der gestürzte Marschall und der gestürzte Minister, der Bettelmönch und der gefolterte Häftling in seinen stinkenden Lumpen, und sie lächelten sich zu und sie gingen in gutem Gefühl auf und ab in dem engen, feuchten Geviert, und die Ratten raschelten über ihre Füße.
Die Herren von der Kommission untersuchten indessen weiter, stetig und sehr langsam, und sie bezogen ungeheure Diäten.
Marie Auguste, die Herzogin-Witwe, hatte solche Lust an politischer Kabale gewonnen, daß sie sogar ihre Toilette der Politik hintanstellte. Geleitet von ihrem Beichtiger, dem Pater Florian, und dem Bibliothekar Franz Josef Hophan, saß sie als Ate unzähliger Komplikationen, Ränke, Intrigen ziervollund kokett im Stuttgarter Schloß oder auf ihrem hübschen Witwensitz Teinach und machte Karl Rudolf Schwierigkeiten. Der junge, katzenhaft sanfte, literatische, modisch gekleidete Bibliothekar entwarf, an seinem Schreibtisch phantasierend, die Projekte, der zähere Pater Florian, der Kapuziner, suchte sie auszuführen, und Marie Auguste griff überall mit blinder, liebenswürdiger Geschäftigkeit störend ein. Der geschweifte, geschnörkelte, feine Bibliothekar ging auf in seliger, wortreicher Bewunderung der Herzogin, er verglich sie in zahllosen modischen Gedichten mit allem Schönen zwischen Himmel und Erde, schrieb auch einen ungeheuer umfangreichen Roman, in dem sie als Semiramis ebenso staatsklug und heldisch wie tugendreich und herrlich von Ansehen über die Erde ging. Sie badete wohlgefällig in seiner beredten und eleganten Anbetung, ja sie nahm allmählich viel von seinem Vokabular und seinen Gesten an. Es war nicht ganz klar, war sie ihm fremd, weil er ihre Politik machte, oder machte sie Politik, weil er ihr fremd war. Das ging sehr ineinander.
Den kargen, sachlichen, soldatischen Herzog-Administrator behinderte es, daß er immer wieder Zeit verlieren mußte, um ihre albernen Gespinste zu durchhauen. Er beschloß, sich dieser lästigen Kabale-Macherin ein für allemal zu entledigen. Überall im Land tauchte plötzlich das Gerücht auf, die Herzogin-Witwe wolle nun doch mit Gewalt die Projekte ihres glücklich beseitigten Gatten durchführen, sie habe schon Anstalt gemacht, die Teinacher Kirche zum katholischen Gottesdienst einzurichten. Das Perfide lag darin, daß die Herzogin zwar tausend andere Händel angezettelt hatte, daß aber just an dieser Sache kein wahres Wort war. Es war klotzige Ironie, sie gerade darüber zu Fall zu bringen. Das Volk jedenfalls glaubte die Gerüchte. Wilde Reden, fliegende Blätter, auf der Straße, wenn sie vorüberfuhr, Stummheit, freche Verweigerung des Grußes. Als die Polizei einschritt, etliche, die den Gruß unterließen, verhaftete, wurden, wenn die Kutsche der Herzogin erschien, die Straßen leer, eilig verschwand alles in den Häusern, in den Nebengassen, um nichtgrüßen zu müssen. Marie Auguste ertrug das nicht, Pater Florian und der feine Bibliothekar streuten große Summen aus, ihre Straße mit Hochrufern zu bepflanzen. Aber sie merkte, daß die Huldigung gekauft war, und litt doppelt. Pater Florian mußte an den Herzog-Administrator schreiben, die weiße Unschuld Marie Augustens vornehmlich in dem Teinacher Handel entrüstet betonen, die freche Ungebühr der aufgehetzten Bevölkerung mit scharfen Worten brandmarken, Abhilfe heftig und hochfahrend verlangen. Karl Rudolf erwiderte nicht. Marie Auguste, schäumend, ging zu ihm. Er sagte, er habe keine Zeit, Mönchsbriefe zu erwidern. Pater Florian hatte nach der Formel seines Ordens als unwürdiger Kapuziner unterzeichnet. »Soll ich einem Menschen erwidern«, fragte schief, schäbig und grob Karl Rudolf, »der nicht einmal würdig ist, Kapuziner zu sein?« Im übrigen, schloß er, könne er den Untertanen befehlen, nicht ungebührlich gegen die Herzogin zu sein, doch er könne sie nicht zwingen, ihr Liebe und Freude zu bezeigen. Er gebe Ihrer Durchlaucht den kollegialen Rat, sich ähnlich zu führen wie er, dann würden sie die
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