Jud Sueß
Frühsommersonne bog sie sich peinvoll unter der brutalen Deutlichkeit dieser Fragen, von denen sie viele überhaupt nicht verstand, duckte sich, rückte zuckend den Kopf, denschamlosen Blicken ausweichend, bog und streckte krampfig die schmalen, knochigen Finger. Ihre Antworten kamen leise, aus gedrosseltem Kehlkopf, manche unhörbar; man beschied sich nicht, sie mußte sie wiederholen, der schwerhörige Regierungsrat Jäger machte: »Wie? Wie?« und verlangte manches dreimal. Ebenso eingehend dann kam man auf ihre Affäre mit dem Herzog zu sprechen. Vor allem der Geheimrat Pflug ließ nicht locker, er wollte daraus, daß der Jud dem Herzog vorgeschmaust, ein Majestätsverbrechen konstruieren. So krümmte sie sich, jung, blond, lieblich, an dem unsichtbaren Pfahl, und keiner schonte sie, alle drangen sie auf sie ein. Alle jagten sie. Voran der hagere, hochmütige, scharfe Herr von Pflug, der, voll Haß und angewidert wie von Gestank, immer wieder fragte, ob sie sich denn nicht vor dem Geruch des Beschnittenen geekelt habe; sodann die Regierungsräte Faber, Renz, Jäger, Dann, die strebsamen, karrierebeflissenen Beamten in mittleren Jahren, die, gekitzelt von diesem endlich einmal anregenden Amtsgeschäft, immer neue Umstände wissen wollten, erst genießerisch umschreibend, gleich als wollten sie sich sonnen, dann plump eindeutig; die Sekretäre, der Assessor Bardili, der Aktuarius Gabler, die mit übler Galanterie und fatalem Tonfall, wie wohl Männer ihre Gutmütigkeit an einer Hure repräsentativ betätigen, mildernde Umstände beizubringen suchten; der Präsident, der Geheimrat Gaisberg, der mit polternder Stimme auf sie losfuhr, sie solle sich nicht so flennerisch und zimpferlich haben, nun habe sie es getan und gekostet, jetzt solle sie sich nicht stellen wie ein zwölfjähriges Jüngferlein, sondern in Dreideibelsnamen das Maul aufmachen; sie habe ja auch andere Dinge aufmachen können. Mit fliegenden Gliedern lag sie schließlich und zuckenden Schläfen, halbtot vor Schande und Erschöpfung, in einem verdunkelten Zimmer ihres Hauses; ihr Bruder schritt grollend deklamierend auf und ab, seine Worte gingen quälend, doch ohne daß sie ihren Sinn verstand, in ihr Ohr.
Trotzdem die Herren der Untersuchungskommission verschlossene, geheimnisvolle Gesichter machten und sich verschwiegengaben, drangen von diesen Vernehmungen viele Details in die Stadt, ins Land. Wiederum war das Haus in der Seegasse, das Prunkbett, die Leda mit dem Schwan in den Gedanken aller. Die Namen der Frauen wurden bekannt, sie konnten sich nicht heimlich genug verkriechen, sie wurden verfemt, man rief ihnen kotige Schimpfworte nach, spie sie an, schnitt ihnen die Haare ab. Auch andere Details drangen durch. Eine Welle von Geilheit schlug von den längst vergangenen Nächten des Süß aus über das Herzogtum. Die Männer zoteten in den Wirtshäusern, die Kellnerinnen konnten sich ihrer derben Liebkosungen kaum erwehren, die Huren machten gute Geschäfte. Die Frauen und jungen Mädchen kicherten, entsetzten sich, vieler Mienen wurden dürr, neidisch, bitter, andere atmeten schwerer, Gesicht und Glieder erschlafften. Ein englischer Sammler machte das Angebot, das vielumraunte Prunkbett des Juden um eine ungeheure Summe zu kaufen.
Natürlich hörte auch der junge Michael Koppenhöfer von der Schmach der Demoiselle Elisabeth Salomea Götzin. Die veränderten Läufte hatten den jungen Menschen nach Stuttgart zurückgeführt. Er war in der Verbannung männlicher geworden, er hatte für seine Überzeugung gelitten, galt als Märtyrer, vielen von den Jungen war er Führer und Ideal. Vielleicht wußte der eine oder andere von seinen Kameraden, daß ihm an der Demoiselle Götzin gelegen war, aber sie hatten darum nicht minder starke Worte des Hohns und der Verachtung gegen das Mädchen, sie dachten daran, sie zumindest durch irgendein kräftiges Symbol ihrer Erbitterung und ihres Spottes für alle Zeit zu bestrafen. Niemand hielt es für möglich, daß die Neigung Michael Koppenhöfers, des jungen, festen, tugendhaften Demokraten, eine solche Bloßstellung überdauern könnte. Michael Koppenhöfer sagte auch kein Wort zu ihrer Verteidigung. Doch auch kein Schmähwort, wie die anderen erwarteten. Er schwieg. Er litt. Er war durchaus nicht geneigt, schwächlich zu verzeihen. Aber er sah das reine, helle Gesicht, das blasse Haar und litt.Er bat den Onkel Harpprecht um die Akten. Für den hatte mit der Rückkehr des Jungen gute Zeit begonnen. Bücher,
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