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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Untertanen ohne weitere Ordre und sicherlich auch ohne Gage mit geziemender Huldigung begrüßen.
    Nach dieser Demütigung beschloß die Herzogin, das dumme, undankbare Schwaben zu verlassen, in Brüssel, Regensburg, Wien Hof zu halten und schmollend, ein weiblicher Coriolan, abzuwarten, bis man sie zurückrufe.
    Sie verabschiedete sich von Magdalen Sibylle. Die Expeditionsrätin Magdalen Sibylle Riegerin saß ernsthaft und hausbacken vor der ziervollen, beweglich züngelnden, äugenden Herzogin, die, angeregt von der bevorstehenden Abreise, sich doppelt jung und spitzbübisch launisch gab. Magdalen Sibylle saß breit und mächtig da, sie trug ein Kind, einen kleinen Rieger. Sie hatte der Freundin ein pedantisches, hölzern ehrliches Abschiedscarmen mitgebracht, Marie Auguste hörte es mit gebührender Rührung und Dankbarkeit an. Dann jedoch, froh, das notwendige Gravitätische hinter sich zu haben,begann sie sich über die tölpischen, klotzigen Schwaben zu mokieren, die sie nun, Gott sei Dank, bald im Rücken haben wird; über den schiefen, schäbigen, eselhaften Karl Rudolf, über Johann Jaakob Moser, den feuervollen, komischen Rhetor, über alle die grobe, ungehobelte Populace. Nur eines bedauerte sie: daß sie den treuen, guten, kräftigen Remchingen in Haft mußte auf dem Asperg sitzenlassen. Und, ach!, auch ihren netten, amüsanten, galanten Hausjuden. Den quälten sie und schlossen sie krumm, und sie, Marie Auguste, konnte gar nichts für ihn tun. Denn – und sie setzte ihr wichtigstes Gesicht auf – das hätte sie unpopulär gemacht und das hätte ihr lieber Bibliothekar aus politischen Gründen nie erlaubt. Nun hatte ja wahrscheinlich der Jud Kinder geschlachtet und weiß der Himmel was für schwarze Kunst getrieben. Aber er war ein galanter, gut gewachsener Mann und sicher der amüsanteste in diesem ennuyanten Stuttgart, und es war jedenfalls ein Jammer, daß diese plumpen Bestien ihn torturierten und verunstalteten. »Hélas, hélas!« machte sie mit gespitzten Lippen, wie es ihr feiner Bibliothekar zu tun pflegte.
    Eine halbe Minute war Schweigen zwischen den Frauen. Beide dachten an Süß. Marie Auguste sah seine heißen, fliegenden Augen, die dringliche Ergebenheit seiner Mienen, seiner Haltung, seine einfühlende, kitzelnde, freche Galanterie. Und sie dehnte sich leicht und lächelte angenehm überrieselt. Magdalen Sibylle saß ganz still, die großen, schönen, fraulichen Hände im Schoß. Im Wald von Hirsau war sie ihm begegnet, da war er der Teufel; dann in Stuttgart hatte er sie nicht genommen, sondern sie dem Tier hingeworfen, dem Herzog; dann hatte er jenen Traum vor sie hingebreitet von Macht und Rausch und sie genommen; dann war er fremd und anders und verkrustet geworden und war höflich zu ihr. Und jetzt saß er auf dem Asperg, und sie quälten ihn und verrenkten ihm die Glieder. Sie aber trug ein Kind, es wird wohl ein braves Kind werden, denn es stammt von einem braven Mann, der sie hemmungslos verehrt. Es wird groß werden in den friedlichen, behaglichen Räumen von Würtigheimund auf Wiesen mit gepflegtem Vieh und zwischen Obstbäumen. Auf dem Asperg wird es nie sitzen, und auch dem Teufel wird es wohl nie begegnen. Vielleicht wird es dafür Verse machen, brave, redliche Verse, die jedem eingehen und manchen tröstlich erheben. Aber dem Teufel wird es wohl nie begegnen.
    Marie Auguste unterbrach das erfüllte Schweigen. Daß sie es nicht vergesse, sagte sie mit einem kleinen, verschmitzten Lächeln, sie habe ja ein Abschiedsgeschenk für ihre liebe Magdalen Sibylle, ihre Freundin und gute Vertraute, ein, wie sie hoffe, gut gewähltes und apartes Abschiedspräsent. »Cara mia!« sagte sie. »Cara mia Maddalena Sibilla!« Es sei etwas für ihre schwere Stunde, flüsterte sie geheimnisvoll, rückte ganz nahe an sie heran, streichelte die große Frau. Ihr selber habe es geholfen. Daß es bei ihr so leicht gegangen sei und daß sie jung und ohne Entstellung geblieben sei, das danke sie nur dem, was sie jetzt ihrer lieben Freundin als Präsent verehren wolle. Sie selber, auch wenn sie nicht gerade die Intention habe, ins Kloster zu gehen, werde das Remedium ja kaum mehr benötigen. Und mit süßer, spitzbübischer, gekitzelter Geste zog sie das Amulett hervor, das Etui des Juden, der nun in feuchter, stinkender Zelle saß, kreuzweis geschlossen. Den Pergamentstreifen mit den roten, blockigen, hebräischen Buchstaben, mit den Namen der Engel Senoi, Sansenoi und Semangelof, den beunruhigend

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