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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Recht, Demokratie, Vaterland, was und wofür er gelebt hatte, war jetzt lebendig, saß atmend vor ihm in dem jungen Menschen mit den bräunlich kühnen Wangen und den starkblauen Augen. Wie nun die Affäre der Demoiselle Götzin langsam in die Stadt drang, schaute der alte Herr besorgt dem Gewese des Jungen zu, er wußte, daß er schwerblütig war und daß sein Handel mit Elisabeth Salomea nicht von heut auf morgen vernarbte. Er sah das gespannte, mühsam gleichgültige Gesicht des Jungen, überlegte, gab die Akten. Michael begann zu lesen, er konnte es nicht lange, rote Wut stieg hoch in ihm gegen den Herzog, gegen den Juden, gegen die Richter, gegen diese Männer. Es erhellte aus dem Protokoll überklar, daß Süß nicht eben viel Gewalt hatte anwenden müssen. Aber Michael wollte das Mädchen mißbraucht sehen, er sah sie mißbraucht. Er sah sie hell, zart, lieblich vor den rohen, massigen Richtern. Er konnte sich nicht helfen, es war wahrscheinlich sentimental, aber das Herz stieg ihm hoch, wenn er an sie dachte, er konnte sie nicht herausreißen und mit festem Männertritt weitergehen. Er rang sich ab; wenn der alte Harpprecht ihm sanfte, andeutende Fragen stellte, bog er aus. Er suchte sich zusammen, was er alles Kühnes, Freigeistiges über den Unwert der Keuschheit gehört hatte, aber es blieb ihm Theorie, es wurde nicht lebendig, all sein Gefühl bäumte sich dagegen. Er bezwang sich schließlich. Er wird aller praktischen Politik entsagen, wird, und mag man sich noch so sehr über ihn, den Mann der Hure, lustig machen, Elisabeth Salomea zu sich emporheben, sie ehelichen, sie entmakeln, als stiller Wissenschaftler, von ihrer Reue und Dankbarkeit getragen, fern von der Welt, nur mit Büchern und ihr, auf dem Lande leben.
    Er fuhr, ohne den alten Harpprecht zu verständigen, in die Nähe von Heilbronn auf das Götzische Landgut, wohin sich die Damen nach ihrer Vernehmung zurückbegeben hatten. Er wurde erst lange nicht vorgelassen. Dann fand er ElisabethSalomea in raschen, heftigen Vorbereitungen zur Abreise. Er kam nicht dazu, sein großmütiges Anerbieten vorzubringen. Die Demoiselle war auf eine bestürzende Art verändert. Sie fuhr hastig herum zwischen Stapeln von Toilettedingen, Nippes, Büchern, Wäsche, schichtete, schnürte, packte, machte mit bitterer, höhnischer Lustigkeit frivole Konversation. Äußerte erschreckende Prinzipien. Moral sei etwas durchaus Relatives. In Stuttgart sei es vor einem Jahr guter Ton gewesen, höfisch und galant zu sein, jetzt sei das Gegenteil Postulat. Ihrer Meinung nach sei der Jud der beste Mann im Schwäbischen und der einzige Kavalier. Im übrigen gehe sie jetzt ins Ausland, zuerst nach Dresden und Warschau, dann nach Neapel und Paris. Und somit Gott befohlen. Sie winkte ihm mit der Hand, an der in verwirrendem Feuer das Aug des Paradieses strahlte.
    Aufgewühlt, mit zerpreßten Lippen, kehrte Michael Koppenhöfer zurück. Später hörte er, Elisabeth Salomea führe an den europäischen Höfen das Leben einer großen, erfolgreichen Abenteurerin. In ihrem Gefolg befand sich als ihr Leibjäger und Vertrauter Otman, der Schwarzbraune.
    In die Zelle des Süß trat der Magister Jaakob Polykarp Schober. Es war dunkel und feucht in dem engen Geviert, Moder und Gestank war in der Luft. Süß hockte gebeugt, sein Atem ging beschwerlich, er war verfettet und verfallen, das Gesicht wüst umstoppelt. Der Magister erschrak ins Innerste, als er, zunächst zweifelnd, in dem verlumpten Menschen seinen weiland so großen und mächtigen Herrn erkannte. Ihm selber ging es nicht gut. Er litt darunter, daß er den Finanzdirektor in diesen Zustand gebracht hatte, eigentlich hatte doch der den evangelischen Glauben im Herzogtum gerettet, es drückte den Magister in die Erde, daß er dem Juden Schweigen zugeschworen hatte, er wollte reden, dieses Verfolgten Unschuld offenbaren, ihn befreien. Kopfwiegend hörte Süß seine unbehilflichen, verwirrten Klagen, Bitten, Beteuerungen, sagte schließlich: »Er ist ein guter Mensch,Magister. Es sind nicht viele.« Und nach einer Weile, zwielichtig lächelnd: »Wenn Er es durchaus will, kann Er jetzt reden.« Der Magister küßte ihm die Hand, ging beglückt.
    Lief zu den Herren vom Parlament, denen er damals, autorisiert von Süß, das katholische Projekt verraten hatte. Erklärte, setzte auseinander, beteuerte. Erstaunt, verständnislos hörte man ihn an. Glaubte, er wolle eine nachträgliche Entlohnung für seinen damaligen Verrat des Putsches,

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