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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Alexanders Bruder, der sanfte Prinz Heinrich Friedrich, in tiefe Verwirrung, als er den Tod des Vetters erfuhr. Er lebte still in dem schönen, kleinen Schloß, las, musizierte. In den letzten Jahren hatte er eine Geliebte zu sich genommen, ein ruhiges, dunkelblondes Geschöpf, die Tochter eines kleinen Landedelmannes, mit weichen Bewegungen, schönen, tiefbefriedeten Augen und etwas schwer von Verstand. Als der Prälat Weißensee zu ihm gekommen war mit dem Projekt, ihm an Stelle des katholischen Bruders den Thron zuzuwenden, hatte der verträumte Mann mit beiden Händen zugegriffen. Aber der kluge Prälat mußte bald erkennen, daß der Prinz in seiner fahrigen, unsachlichen Manier politische Dinge als Phantasien betrachtete und sich in Farbig-Nebelhaftes verlor. Nein, mit diesem Prätendenten konnte man gegen den energischen, zufahrenden Karl Alexander nichts ausrichten. Nach dem Tod des Erbprinzen, als die Nachfolgerschaft aus müßigem Geträum greifbare Wirklichkeit hätte werden können, traf gar aus Belgrad – weiß der Himmel, woher der Feldmarschall von den Zetteleien mochte erfahren haben – ein unzweideutiges Schreiben ein, darin Karl Alexander den Bruder ernstlich vermahnte, von solchen Umtrieben und schnöder Aktion abzulassen. Erschreckt und verschüchtert zog sich der sanfte Prinz von allen Unternehmungen zurück, ja, er vermied in großer Angst jeden Umgang mit Weißensee. Jetzt, wie er den Tod des Herzogs erfuhr, stand all das bunte, phantastische Geträume wieder auf. Schwitzend, mit zittrigen Gliedern, groß erregt, ging der schwächliche Mann in dem fahlen Morgenherum, dichtete sich zusammen, was alles sein könnte, wenn er nur ein bißchen mehr Initiative hätte, wie er von der Macht Besitz ergriffe, an den Kaiser schriebe, Minister bestellte, entließe, mit Frankreich Verträge schlösse, zündende Reden an das Volk hielte. Aufseufzend kehrte er schließlich wieder in das Schlafzimmer zurück, er hatte seine liebe Geliebte nicht erst wecken wollen, leise und vorsichtig zog er sich aus, streckte sich bekümmert über seine Schwäche an ihrer Seite aus, umarmte tastend ihre großen, warmen Brüste, bis sie ihre schönen, dummen Augen aufschlug, tröstete sich an ihrer sanften Jugend und schlief endlich, seufzend, nachdenklich und befriedet, wieder ein.
    Der Prälat Weißensee, auf die Todesnachricht hin, ging in kribbelnder Erregung durch seine weiten Räume mit den weißen Vorhängen. Wieviel Probleme, Komplikationen, Konflikte! Der katholische Fürst in dem stockprotestantischen Land: eine neue, unerwartete, noch nie dagewesene Konstellation im westlichen Deutschland. Er, Weißensee, hatte sich rechtzeitig eingestellt, es gab viele Möglichkeiten, er wird bei keiner ausgeschaltet werden können. Er hat sich nirgends exponiert, er hat überallhin Fäden geknüpft. Er ging auf und ab, konzipierte Pläne, verwarf, genoß wohlig Spannung, Bewegung, das Glück des großen Intrigenzettlers und Projektenmachers.
    Magdalen Sibylle aber, seine Tochter, saß, und die blauen Augen in dem bräunlich kühnen Gesicht arbeiteten und wechselten zwischen Hell und Dunkel. Ein Katholik, ein Heide auf dem Thron. Jetzt brach Verwirrung und große Not über das Land herein. Hilf, Herr Zebaoth, daß das Land fest bleibe gegen die Versuchungen, mit denen der Götzendiener es locken, gegen die Drohungen, mit denen er es der reinen Lehre wird abspenstig machen wollen. Der heidnische Fürst fuhr einher mit Glanz und großer Gloire, er hatte Schlachten gewonnen, stand beim Kaiser in Gunst, seine Gemahlin trug sich hoffärtig und frivol. Hilf, Herr Zebaoth, daß das Volk fest bleibe in all der Not und Versuchung. Und ihrVater, ihr Vater stand ganz vorne im Kampf, ihm lag es ob, Schild des bedrohten Evangels zu sein. Ach, sie wollte nicht sündigen gegen das vierte Gebot; aber sie hatte große Angst, ob er auch die rechte Festigkeit habe vor Gott und den Menschen. Sie flüchtete sich, wie immer in solcher Not, zu Gott, sie schlug die Bibel auf und betete um ein Orakel. Aber sie fand nur den Spruch: »Jeglichen reinen Vogel dürft ihr essen. Dies aber ist, was ihr nicht essen dürft von ihnen: den Adler und den Strauß und den Sperber und den Pelikan.« Sie dachte lange nach, aber sie konnte bei aller Gewandtheit im Orakeldeuten keinen Zusammenhang finden zwischen der Not des Landes, der Sorge um den rechten, festen Glauben des Vaters und dem Strauß und dem Pelikan, den die Israeliten nicht essen durften. Sie beschloß,

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