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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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das Orakel ihrer Freundin Beata Sturmin vorzulegen, der Erweckten, der blinden Heiligen im Stuttgarter Bibelkollegium. Vorerst aber betrachtete sie, Kummer und schweres Nachdenken in dem männlich kühnen Antlitz, den Vater, der gar nicht umwölkt, sondern höchst angeregt, das feine, lebendige Gesicht arbeitend, in wohliger Spannung auf und nieder ging.
    Schon eine halbe Stunde, bevor die Sitzung beginnen sollte, hatten sich die elf Herren des engeren parlamentarischen Ausschusses im Landschaftshause zusammengefunden. Es stand nur Belangloses auf der Tagesordnung; aber alles war so ungeklärt, man saß in dicker Finsternis, man wollte wenigstens einen Nebenmann tasten, Antworten aus der Nacht hören.
    Ach, daß man damals dem Prinzen das Darlehen abgeschlagen hatte, ach, daß man mit seinem jüngeren Bruder gezettelt hatte. Jetzt saß man in Dreck und großer Not. Der Prinz müßte ein Heiliger sein, wenn er jetzt, an der Macht, die Landschaft das nicht entgelten ließe. Und er war durchaus kein Heiliger. Ein Soldat, ein Feldmarschall, gewohnt an stumme, blinde Subordination. Man hörte, daß er in Belgrad mit seinen Räten durchaus nicht glimpflich verfuhr, daß eroft und abermals mit seinen Beigeordneten in wilde, tobende Zerwürfnis geraten war, bestialisch fluchte und tobte, keine Widerrede duldete und Geschirr und Zerbrechliches an den Schädeln seiner Räte zerschmiß. Kurz, daß er ein Despot war wie nur je ein heidnischer Cäsar. Man wird seine Not und Höllensabbat haben mit diesem Leviathan.
    Denn man war nicht gewillt, auch nur ein Tipfelchen aufzugeben von seinen Rechten und Freiheiten. Ah, die süße Macht! Sie Elf, sie leckten den Honigseim der Verfassung. Der Rest des Parlaments war nur dazu da, zu bestätigen, was sie beschlossen. Aber sie, sie Elf, sie thronten über dem Land, sie tagten hinter verschlossenen Türen, wie die venezianische Signoria, sie spannen, handelten, schacherten unter sich und banden dem Herzog und seinen Ministern die Hände. Wohlig war es und süß, sich so wichtig und in der Macht zu fühlen. Da soll keiner herkommen und daran rühren. Man wird sich breit und kräftig hinstellen und das Land schützen vor Tyrannei und katholischer Knechtung. Denn man hat ja seinen festen Schutz und gute Verwahrung. So fest und gut ist das Gesetz, wonach der Herzog schwören muß, ihre und der protestantischen Kirche Rechte zu wahren. Von diesem Gesetz kann Rom mit all seiner schlauen Interpretierungskunst nichts wegtifteln. Diesen Riegel durchfeilt auch nicht der feinste Jesuiter. Soll er nur um sich beißen, der Heide und wütige Tyrann! An diesem Eisen wird er sich die Zähne ausknirschen. O klares Gesetz! O gesegnete Religionsreversalien! O gute, feste Verfassung und Tübinger Vertrag! O weise, heilsame, gepriesene altväterliche Vorsicht, die bissigen Herzogen solchen Maulkorb angehängt.
    Pünktlich um zehn Uhr eröffnete Johann Heinrich Sturm, der Präsident, die Sitzung. Aber ehe man noch in die Tagesordnung eintreten konnte, erschien vor den verblüfften Herren der Regierungsrat Filipp Jaakob Neuffer, Bruder des Konsulenten. Er wies Dokumente vor, denen zufolge Karl Alexander als legitimer Nachfolger den württembergischen Thron übernehme und bis zu seiner Ankunft im Herzogtumdie Räte von Forstner und Neuffer als amtierende Minister mit der Leitung der Staatsgeschäfte beauftrage.
    Lächelnd und höflich erklärte der Rat den sehr betretenen Herren weiter, dem Herzog sei bekannt, daß man im Parlament gewisse Besorgnisse hege, die Religion und die ständischen Freiheiten anlangend. Er sei glücklich, den Herren im Auftrag Seiner Durchlaucht beruhigende Bestätigungen und Versicherungen jetzt schon überreichen zu können. Der Herzog habe Gelegenheit gehabt, noch als Prinz Fühlung zu nehmen mit einigen Mitgliedern des engeren Ausschusses über den damals möglichen, jetzt wirklich eingetretenen Fall, und die Herren hätten die abgegebenen Versicherungen für höchst wünschenswert erachtet, das nötige Vertrauen zwischen Herzog und Landschaft herzustellen.
    Stumm und tief verwirrt hörten neun von den Elf diese Rede an. Selbst der ruhige, gefaßte Präsident Sturm zwang sich nur mit Mühe einige Sätze ab, in denen er die Vollmacht des Rates, jetzt also Konferenzministers, anerkannte, für die übergebenen Papiere dankte und erklärte, man werde sie in Ruhe prüfen.
    Der Minister gegangen, blieben die Herren bestürzt, ratlos, mißtrauisch, tief erbost. Es gab also unter ihnen

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