Jud Sueß
lockende Stimme, und sie lauscht hinter die Bäume und hältden Atem an: jetzt wird, gleich wird, im nächsten Augenblick, der Schäfer sichtbar sein, der die feinen Worte läutet, die silbern klingenden. Doch niemand kommt.
Auch die Helden und Frommen der Bibel bedeuteten gewiß das, was Rabbi Gabriel ihr erklärte. Doch war er nicht da, so schaute sie Naemi mit ihren eigenen Augen. Sie selber war Tamar, die den Amnon liebte, sie war Rahel, die mit Jakob floh, sie Rebekka an der Tränke. Auch Mirjam war sie noch, die das Siegeslied tanzte über den vom Herrn ersäuften Ägyptern. Doch nicht war sie Jael, die dem Sisserah den Nagel in die Schläfe schlug, nicht Deborah, die richtete in Israel. Mit den wenigen Menschen ihrer Umwelt staffierte sie die Geschichten der Bibel aus. Hagar trug die Züge der geschwätzigen Zofe Jantje, die Propheten hatten die trübgrauen, steintraurigen Augen des Onkels und seine platte Nase, und sie redeten mit seiner knarrenden, übellaunigen Stimme.
Die Helden aber hatten die Haltung des Vaters, sein Gesicht, seine Augen, die großen, gewölbten, fliegenden, seine schmiegsame, beredte, beredende Stimme. Ach, der Vater! Der helle, glänzende! Oh, daß er so selten kam! An seinem Hals hängen, das war Leben, und was sonst war, das war nur die Erwartung, daß er wiederkommen werde. Und alle die Helden der Schrift sah sie in seinem Bild. Simson, der die Philister schlug, trug seinen olivgrünen Rock und stapfte eilig, glänzend und gefährlich in seinen klirrenden Reitstiefeln. David, wie er dem Goliath obsiegte, wiegte sich in dem roten, zierlich geschweiften Frack, in dem der Vater das letztemal gefahren kam, und der gehobene Arm mit der Schleuder warf artig gefältelte Manschetten zurück. Und ach!, auch dies sah sie mit einem heimlichen, lüsternen Grauen, das Haar, daran Absalom im Baume sich verfing, war das reiche, gelockte, kastanienfarbene Haar des Vaters, und wenn David wehklagte: O Absalom! Mein Sohn!, dann jammerte er mit der knarrenden Stimme des Oheims, und es waren die feuervollen, geliebten Augen des Vaters, die er zudrückte.Festlich fuhr der neue Herzog die Donau hinauf in der Jacht, die sein Schwiegervater ihm geschenkt hatte. Reglos am Kiel hockte unergründlichen Auges der Schwarzbraune. Neben der Herzogin saß massig der General Remchingen, hochrot das Weingesicht unter der weißen Perücke; schnaufend und modisch machte er in seinem plärrenden Österreichisch der schönen Frau seinen Hof. Der Soldat strahlte, hundert verwogene, draufgängerische Pläne blühten jetzt der Reife entgegen. Es war eine der ersten Handlungen des Herzogs, daß er den Freund zum Präsidenten des Kriegsrats und Höchstkommandierenden in Württemberg ernannte.
Glänzender Empfang in Wien. Die Majestäten äußerst huldvoll. Hochamt. Bankett in der Burg. Oper. Der alte Fürst Thurn und Taxis war dem Schwiegersohn nach Wien entgegengefahren; auch die beiden geistlichen Freunde hatten es sich nicht nehmen lassen, dem Herzog ihre Glückwünsche bis Wien entgegenzutragen. Als die Jacht anlegte, stand der Fürstbischof von Würzburg mit seinen Geheimräten Raab und Fichtel, stand der Fürstabt von Einsiedeln am Ufer, küßten den Herzog erfreut und herzlich, tätschelten blinzelnd Marie Augustens Hand.
Nach der Oper, die Majestäten und die Herzogin haben sich schon zurückgezogen, sitzen Karl Alexander, der Fürst von Thurn und Taxis, die beiden Prälaten noch zusammen. Dunkelgelber Tokaier leuchtet ölig, der Herzog hat sich in Belgrad an ihn gewöhnt, säuft ihn in großen Zügen, derweilen die Jesuiten sich an Schlücklein behagen. Die Luft ist schwer von Kerzen und Wein.
Karl Alexander, vor diesen Befreundeten und Vertrauten, kehrt sein Herz nach außen. Ah, er war nicht gewillt, als kleiner Dutzendfürst in seinem Land zu versauern. Sein Ehrgeiz ging nach mehr, als darüber zu wachen, daß seine Untertanen brav ihren Wein bauten, ihre Leinwand woben, ihren Kleinen den Rotz schneuzten und die Hemdzipfel rein hielten. Regieren lassen wird er seine Räte, er wird herrschen. Er war nicht umsonst so lange im Feldlager gewesen. Er war Soldat,ein Soldatenherzog. Hat er so lange für ein anderes, wenngleich befreundetes Haus gefochten und gesiegt, wieviel besser wird er können für sich selber fechten und siegen. Ludwig der Vierzehnte hat erobert, das kleine Venedig hat ein gut Teil Griechenland gefressen, von Schweden aus hat der zwölfte Karl seine Fahnen durch halb Europa getragen, in Potsdam
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