Jud Sueß
Wechsel, sich überkamen, unter sich verschacherten; sie wußten, daß die Fahne der Freiheit immer dazu mißbraucht wird, daß einzelne sich Fetzen daraus schneiden für ihren privaten Vorteil. Aber sie waren trotzdem tief und von ganzem Herzen überzeugt, daß das Landesgrundgesetz und die landständischen Freiheiten die Pfeiler des Staates waren, und sie interpretierten alle strittigen Grenzfragen zwischen Fürsten und Volk aus dem freiheitlichen und verantwortungsschweren Ernst heraus, aus dem der erste württembergische Herzog, in kleinem Land ein wahrhaft großer Fürst, die Verfassung testiert hatte. Sicherung der Volksfreiheit warsein erstes Prinzip gewesen, »Attempto! Ich wag’s!« seine Parole. Und daß der Fürst durch die Verfassung manchmal vielleicht selbst im Nützlichen, das er anstrebte, gehindert werden könnte, schien ihm nur ein kleines Übel gegen das große Gute, daß er durch ein Grundgesetz und seine Schranken vor vielen und großen Fehlgriffen bewahrt werde.
Es handelte sich um gewisse Steuerentwürfe und Monopolvorschläge des Süß, die zweifellos gegen den Geist der Verfassung verstießen; doch war der Wortlaut brüchig, und ein findiger und skrupelloser Tiftler konnte allenfalls durch die Bresche dringen. Harpprecht, sekundiert von Bilfinger, redete sich warm, und Süß hörte aufmerksam und höflich zu. Aber plötzlich sah der Gelehrte die Augen des Finanzmanns, diese großen, gewölbten, süchtigen, klugen, lauernden, gewissenlosen Raubaugen. Gesehen hatte er sie oft, aber jetzt mit einemmal erkannte er sie. Was waren vor diesen Augen Freiheit, Verfassung, Gewissen, Volk? Ein Mittel für etliche Jobber, emporzuklimmen, wo er stand, an dem Baum zu rütteln, auf dem er saß, an seinem Baum, dem Herzog. Der Gelehrte sah, daß dieser Mann in der Verfassung und ihren Vertretern nichts erblickte als die Konkurrenz, daß er sie haßte mit dem bedenkenlosen Haß des Konkurrenten. Vor dem klugen, raffenden, lauernden, giervollen und von keiner Idee gereinigten Blick des Juden zerwesten alle diese großen Dinge zu Dummejungenträumen, wurden angeschleimt, lächerlich. Er kam sich albern vor, wie er vor diesem Handelsmann vom Geist der Gesetze sprach, von ihrem schönen und würdevollen Sinn. Er sprach wie an eine hohle, farbige Larve hin; der andere klaubte aus seinen Worten sich nur das heraus, was er für seine schmierigen und selbstsüchtigen Projekte brauchen konnte. Harpprecht brach ziemlich unvermittelt ab, der langsamere Bilfinger hatte auch gespürt, was den Freund hemmte. Die beiden Württemberger entfernten sich bald, kühl, verdrießlich, von dem unentwegt höflichen Süß respektvoll geleitet.
Unter der Türe trafen sie in Kaftan und Schläfenlöckchen Isaak Landauer. Süß hatte ihn hergebeten, die Finanzangelegenheitender Gräfin mit ihm zu regeln. Die beiden Männer verstanden sich, ohne daß sie einander auch nur hätten andeuten müssen, wohinaus sie wollten. Es kam darauf an, einen Vergleich zu formulieren, der dem äußeren Schein nach für den Herzog, in Wahrheit für die Gräfin günstig war. Scharf schachernd rückten die beiden gegeneinander vor. Jeder hatte noch seine besonderen Interessen, denn jeder hatte Ansprüche an den Herzog sowohl wie an die Gräfin. Schließlich rechnete Süß für den Herzog einen Gewinn von dreihundertunddreiundzwanzigtausend Gulden heraus, aber faktisch hatte der Herzog an die Gräfin hundertundachtundfünfzigtausend Gulden zu zahlen. Bei der Übergabe dieser Summe zog allerdings Süß der Gräfin dreißigtausend Gulden ab für angebliche Darlehen und Vorschüsse, und dem Herzog stellte er für seine Dienste in dieser Angelegenheit weitere fünftausend Gulden in Rechnung.
So endete der Liebeshandel der Gräfin, der so viele Jahre hindurch das Herzogtum in Wirren und Empörung gestürzt hatte, mit einem ansehnlichen Gewinn für den Geheimen Finanzrat Josef Süß Oppenheimer. Die Gräfin lebte fortan in Berlin ein glanzvolles und unruhiges Leben. Die saure Herzogin-Witwe hatte zeitlebens gekränkelt, ihr Übel nahm überhand, die Ärzte wunderten sich, daß sie immer wieder aufkam. Sie aber starrte voll kahlen, grauen, staubigen Hasses hinüber nach Berlin zu der Feindin, der Person, und sie starb erst drei Wochen nach ihr.
Karl Alexander war in den Festungen, bei den Schanzern, im Feldlager, ritt, fuhr herum, befahl, war groß tätig. Feierte ein herzliches Wiedersehen mit dem alten, sehr klugen, etwas steifen und trockenen
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